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Um es gleich vorweg zu nehmen: Die polnische, an einem klaren Feindbild orientierte Wahrnehmung der Deutschen kann mit der der Juden nicht gleichgesetzt werden. Feindbildkonstruktionen sind keine homogenen Geistesströmungen und müssen als komplexe Gebilde aus Diskursen, Denkformen und Praktiken verstanden werden, die je nach Feinddefinition eine andere historische Abkunft aufweisen. Sicherlich ist diese strikte Unterscheidung nicht immer festzustellen und die beiden Feinddefinitionen lassen sich häufig kaum durchgängig und präzise trennen. Strukturelle Ähnlichkeiten und parallele Entwicklungen sind durchaus vorhanden. Jede Feindmarkierung ist als eine historisch und kulturell bedingte Verfolgungspraxis zu verstehen, die darauf zielt, identitäre Kollektive und ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.[1] Bis heute haben deutsch- und judenfeindliche Fremdbeschreibungen eine wichtige identitätsstiftende Funktion für die polnische Gesellschaft und ihr nationales Selbstverständnis. Besonders in den zahlreichen Konfliktsituationen war und ist der Aufbau von antideutschen und antisemitischen Feindbildern ein wichtiger Aspekt der polnischen Propaganda und sollte sowohl der Stabilisierung der eigenen Identität und Moral als auch dem fortgesetzten Durchhaltewillen angesichts der vermeintlichen Bedrohungen dienen. So gesehen, stellen die polnischen, gegen die Deutschen und Juden gerichteten Feindbilder einen festen Bestandteil der kulturellen, sozio-ökonomischen und politischen Entwicklung in Polen dar und müssen immer als historisch gewachsenes Phänomen betrachtet werden. Als historische Produkte, die sich nicht im menschenleeren Raum entwickelten, setzten sie sich aus einem Mosaik sozialer und mentaler Erfahrungen zusammen, die für die polnisch-deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte charakteristisch sind.
Bei der vorgelegten Analyse der tradierten negativen Urteile über die Deutschen und Juden wird daher gefragt, welche historischen und mentalen Vorgänge bzw. Wertesysteme der polnischen Gesellschaft zur Etablierung und Funktionalisierung feindlicher Wahrnehmung der Deutschen und der Juden führten und welchen Einfluss diese Feindbilder ihrerseits auf diese Vorgänge und Wertesysteme ausübten. Weder das Feindbild selbst, noch die Bedingungen seiner Etablierung und Reproduktion sind fertige und statische Gegebenheiten. Ganz im Gegenteil: Sie bedingen einander in ihrer Entwicklung und die reziproken Veränderungen sind durchaus nachvollziehbar.
Spätestens seit dem Hochmittelalter gab es in der christlich-abendländischen Gesellschaft Europas zunehmend Feindseligkeiten gegenüber Angehörigen der jüdischen Religionsgemeinschaft. Diese gingen vorwiegend auf die Kirche zurück und waren in Westeuropa deutlich stärker ausgeprägt als in Polen, wo bis zum 12. Jahrhundert noch kein umfangreiches Judentum vorhanden war. In ihrem Mittelpunkt stand der Vorwurf des Gottesmordes, den die Juden angeblich regelmäßig durch Hostienschändung und symbolisch an christlichen Kindern vollzogene Ritualmorde zu wiederholen trachteten. Die antijudaistische Dämonisierung der Juden mündete häufig in Gewaltexzessen und führte zu ihrer sozialen Deklassierung aus einer sich christlich definierenden Gesellschaft, die als Umsetzung Gottes gedeutet und legitimiert wurde.[2]
Die religiöse und ökonomische Bekämpfung der Juden führte dazu, dass die mittelalterlichen jüdischen Gemeinden in Westeuropa so gut wie vernichtet wurden. Eine Anzahl der Juden konnte sich rechtzeitig durch eine Flucht nach Polen retten. Das goldene Zeitalter der Juden in Polen ging im Laufe des 15. und 16. Jahrhunderts, insbesondere in der Zeit der Reformation und Gegenreformation, allerdings zu Ende. Zur Verschlechterung der Beziehungen trugen neben den althergebrachten religiösen Konflikten die wirtschaftlichen Spannungen bei. Im feudalen Polen war die jüdische Bevölkerung zu Handel und Geldverleih gezwungen und wurde vom Adel als Finanzier, Pächter oder Unterpächter eingesetzt. Sieht man von Anfeindungen seitens der katholischen Kirche, des verschuldeten Kleinadels und der christlichen Konkurrenz ab, dann war in erster Linie das Verhältnis zu den Bauern prekär, welche die Mehrheit der Bevölkerung ausmachten. Ihnen galten die Juden als Werkzeug der grundherrlichen Unterdrückung und da sie daraus Profit schlugen, verachtete man sie besonders.[3] Dadurch erhielt die religiös motivierte gesellschaftliche Ausgrenzung der Juden eine zusätzliche wirtschaftsethische Dimension.
Zu Konflikten kam es auch auf kultureller Ebene. Die kaum integrierten, meist im Schtetl wohnenden Juden, die eine eigene Sprache sprachen, sich als von Gott auserwählt betrachteten, an eigenen Speisegesetzen festhielten und sich durch ihr äußeres Erscheinungsbild deutlich abhoben, wurden durch die christliche Majorität mehrheitlich als Fremde im Inneren des eigenen Landes angesehen. Aufgrund dieser Faktoren – durch das Jude-Sein sowie durch die wirtschaftliche und soziale Außenseiter- und Mittlerrolle – erschien die jüdische Bevölkerung im doppelten Sinne fremdartig: Sie stand zwischen den Gutsherren und den Bauern, zwischen verschiedenen Religionen und ethnischen Gruppen, zwischen Innen und Außen und geriet schließlich zwischen die Pole „Gut“ und „Böse“. Als Fremde, die zugleich als im Kontakt mit allem sonst Fremdartigen und Bösartigen stehend angesehen wurden, projizierte man auf sie die allgemeinen Ängste, die durch wirtschaftliche, politische, weltanschauliche oder sogar durch meteorologische Veränderungen ausgelöst wurden. Man unterstellte ihnen, sie hätten sich mit dem Teufel verschworen und profitierten von allem Schlechten, das Christen zustoße. Vor diesem Hintergrund konnte die Judenfeindschaft in einem vielschichtigen Prozess in die polnische Volkskultur eingehen.
In der Zeit der Reformation und Gegenreformation wurden immer häufiger auch die Deutschen mit dem Teufel verglichen. Die Luther-und Calvin-Anhänger galten im katholisch dominierten Polen-Litauen als Häretiker, die den „wahren“ Gott verraten und ihre Seelen dem Teufel verschworen haben. Im Laufe des 17. Jahrhunderts etablierte sich auch der Spruch „Niemiec, Szwab, diabłu brat” [Deutscher, Schwabe, Teufelsgabe]. Besonders der katholische Klerus war mit seiner gegenreformatorischen Propaganda bemüht, Luther zu einem Teufelsanbeter zu stilisieren. Diese Verurteilung und Verteufelung Luthers und seiner Haltung dem Papst gegenüber blieb nicht ohne Einfluss auf das polnisch-katholische Verhältnis zu der deutschsprachigen, protestantischen Minderheit im polnisch-litauischen Staatsverband. Sie wurde alsbald zu „Lutheranern“ abgestempelt, die sich blind zu ihrem geistigen Anführer bekennen und dadurch auch das Teufelswerk unterstützen. Davon war die Übertragung der pejorativen Bezeichnung „luter“ auf jeden protestantischen Einwohner Polen-Litauens.
Die religiöse Verteufelung ging mit einer politischen Verfeindung einher. Kazimierz Maliszewski verweist auf das bereits in dem späten Mittelalter etablierte Bild eines Deutschen als „fremder“ Nachbar, der sich in Bezug auf Kleidung, Bräuche und Sitten unterschied. Merkmale wie Trägheit, Strenge oder Bauernschaft zeichnete es aus. Das angespannte politische Verhältnis Polen-Litauens [s. Abbildung 1] zu dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation vertiefte die bei dem polnischen Adel verbreitete Abneigung und Ablehnung der deutschsprachigen Nachbarn.[4] Die erwähnten Glaubenskonflikte im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts bestätigten dann nur diesen Ausgrenzungsprozess und erweiterten die längst etablierten antideutschen Affinitäten um eine starke moralische Dimension.
Ziel der religiösen Abgrenzung war die Schaffung einer im Katholizismus vereinigten Gemeinschaft, die Freund- und Feindbilder definieren und dadurch auch jede politische Ausgrenzung moralisch legitimieren konnte. Auf diese Weise setzte sich bei der polnisch-litauischen Adelsgesellschaft immer stärker die Selbstwahrnehmung von „Pole-Katholik“ durch, die das biblische Gebot der Feindesliebe eher außer Acht ließ und zur Quelle der Tugend das eigene Interesse erhob. Der Anspruch auf politisch-moralische Deutungshoheit erleichterte nun, die „Unmoral“ den religiös und politisch definierten Feinden oder Gegnern zu überlassen und die eigene Gemeinschaft von jeder Mittäterschaft zu exkulpieren. Der als „Teufel“ erkannte Andere wurde gleichzeitig auch als politischer Feind abgewehrt. Im Gegensatz aber zu den judenfeindlichen Überzeugungen fehlt der katholischen Verteufelung des „deutschen Glaubens“, wie der Protestantismus umgangssprachlich bezeichnet wurde, das verschwörerische Element. Lutheraner und Calvinisten wurden mehr als Rebellen und Abtrünnige wahrgenommen. Sie wurden aber kaum verdächtigt, die Brunnen zu vergiften, Epidemien zu verbreiten oder katholische Kinder für rituelle Zwecke zu morden. Im Unterschied zu den Juden wurden die Protestanten auch Gegenstand von Spott und Anekdoten wie z. B. Luther, der häufiger als ausschweifender Sünder dargestellt wurde.[5]
Das Ineinandergreifen von religiös und politisch bedingter Feindkonstruktion bestimmte immer stärker das polnisch-jüdische und polnisch-deutsche Verhältnis. Entscheidend für diese Entwicklung erwies sich im Fall der polnischen Juden ihre Stigmatisierung als Verräter, die angeblich bereitwillig mit dem Feind sympathisierten, ja sogar kollaborierten, als Polen infolge der Teilungen durch Preußen, Russland und Österreich (1773, 1793, 1795) aufgehört hatte, als eigenständige Staatsnation zu existieren [s. Abbildung 2]. Der von Hohenzollern mitverantwortete Verlust der staatlichen Unabhängigkeit, der Preußen große territoriale Gewinne bescherte, prägte auch seine Wahrnehmung durch die neuen polnischen Untertanen. Angesichts der permanenten Bedrohung und der immer wieder versuchten Mobilisierung gegen die Unterdrücker spielte sowohl die „Judenfrage“ als auch die Abgrenzung gegenüber der preußischen Dominanz eine wichtige Rolle. Eine integrative Lösung war nie in Sicht, da die Haltung vieler Juden und der preußischen Regierung gegenüber dem polnischen Wunsch nach innerer Konsolidierung und äußerer Unabhängigkeit durch das gleichzeitige Streben nach national- kultureller und sprachlicher Homogenisierung ablehnend bis unentschieden blieb.
Bei der Auseinandersetzung mit der „Judenfrage“ reduzierte sich die Diskussion wiederholt darauf, ob der jüdische Teil der Bevölkerung in den Teilungsprovinzen nicht doch irgendwie auf der Seite der russischen, der preußischen oder der österreichischen Teilungsmacht stünde. Die Ähnlichkeit der deutschen Sprache mit dem Jiddischen und die relativ schnelle Anpassung etlicher polnischer (besonders gut situierter) Juden an die deutsche Kultur in den preußischen Teilungsprovinzen machte alle dort lebenden Juden zu potenziellen Befürwortern und Anhängern der preußischen Machthaber. Die positiven und vorwiegend literarisch tradierten Bilder von den jüdischen Patrioten, die den polnischen Freiheitskampf unterstützen und/oder eine vollständige Assimilation an die polnische Nation anstreben, waren eine Seltenheit und beeinflussten kaum die dominierenden judenfeindlichen Stellungnahmen.[6]
Neben dem Vorwurf des nationalen Verrats wurde den Juden im antisemitischen Diskurs des 19. Jahrhunderts die Schuld auch an allen sozialen Erschütterungen und alltagsgeschichtlichen Verunsicherungen zugeschrieben, die mit der Industrialisierung und den damit einhergehenden tief greifenden Umwälzungen von der agrarisch-handwerklichen zur industriellen Welt verbunden waren. Das Bild des Wucherers wurde vom „bösen jüdischen Finanzkapital“ abgelöst. In dem schwer zu durchschauenden kapitalistischen Wirtschaftssystem wurden allzugerne „die Juden“ als traditionelle „Sündenböcke“ für die politisch-ökonomischen Entwicklungen verantwortlich gemacht, darunter auch für den Sozialismus. Neben dem internationalen Kapitalismus avancierte nun der internationale Sozialismus (später Kommunismus) zu jüdischen Waffen im Konkurrenzkampf der Nationen.[7]
Besonders virulent wurden die Rufe nach nationaler Konsolidierung gegen die Juden, als Polen nach dem Ersten Weltkrieg seine Unabhängigkeit (1918) wiedergewann und die nationale Konsolidierung zu einer dringenden Aufgabe auch durch die souveräne polnische Regierung erhoben wurde. Zu jenem Zeitpunkt gab es keine ethnisch einheitliche polnische Nation; innerhalb der Grenzen lebten nationale Minderheiten von beträchtlicher Größe, darunter die nicht zu übersehende Gruppe der Juden (ca. 10% der Gesamtbevölkerung). Antisemitische Propaganda fiel somit auf fruchtbaren Boden. Anspielungen auf eine innere jüdische Bedrohung, sei es in der Wirtschaft, Kultur oder Politik, waren sinnfällig und erleichterten die Mobilisierung der Mehrheit zur Gestaltung des Staates nach national-konservativen Vorgaben.
Mit der russischen Revolution und der Etablierung der kommunistischen Sowjetregierung in dem Nachbarland ging es nicht nur um Verminderung der jüdischen Konkurrenz in Politik oder Wirtschaft, sondern auch um den Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“. Die propagierte Gefahr einer jüdisch-bolschewistischen Verschwörung in Gestalt von „Judäo-Kommune“ (żydo-komuna) half dann die zahlreichen judenfeindlichen Ausschreitungen als patriotische Verteidigungsmaßnahmen zu rechtfertigen.[8] Zur Aufforderung der Stunde avancierte nicht nur die Befreiung des neuen Staates von der „roten“ (kommunistischen) und der „goldenen“ (kapitalistischen) Internationale, sondern vor allem die Ausgrenzung der Juden aus der polnisch-katholischen Nation.
Die Unterstellung, die Deutschen seien international organisiert oder sind bemüht, die polnische Nation von innen her zu destabilisieren, ist in dem polnischen Deutschlandbild dagegen kaum zu finden. Bis zum Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich auch keine konstante Feindseligkeit feststellen, die ein einheitlich negatives Deutschland-Bild prägen könnte. Zwar erfreuten sich die Deutschen nie der allgemeinen Freundschaft der Polen – diese waren ihnen gegenüber eher misstrauisch und hielten sie für niederträchtig –, doch wurden sie selten als Hauptfeind angesehen.[9] Als solcher galten vielmehr die Russen und das russische Zarenhaus, das die Mehrheit der ehemaligen polnischen Territorien besetzte und gegen das sich auch die meisten polnischen Unabhängigkeitskämpfe richteten. Diese differenzierte Wahrnehmung änderte sich im Zuge des polnischen Nationalisierungsprozesses des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als die preußischen Regierungen alle Versuche der polnischen Minderheit, ihre nationale Autonomie zu erlangen, zunichtemachten. Das polnische Deutschland-Bild bekam nun seine durchgehend feindliche Ausrichtung – ein polnischer Patriot musste ein Deutschlandfeind sein. Die Folge dieser Feindbildkonstruktion war die zunehmende Überzeugung von einem jahrhundertelangen deutsch-polnischen Antagonismus, die in Politik, Geschichtsschreibung, Literatur und Erinnerungskultur gleichermaßen aufgenommen und konserviert wurde.[10]
Die Erneuerung der polnischen Staatlichkeit hat zunächst wenig Einfluss auf die schwarze Färbung des Deutschlandbildes gehabt. Hauptgrund dafür lag in dem ungelösten Grenzkonflikt der 1920-er Jahre. Das Feindbild von dem deutschen „Drang nach Osten“ gewann erneut an Bedeutung. Determiniert wurde diese feindliche Wahrnehmung auch durch die deutsche Minderheit, die sich überwiegend prodeutsch positionierte und jegliche Assimilation an das wiederentstandenen Polen ablehnte. Die spätere Beruhigung der gegenseitigen Nationalitäten- und Grenzkonflikte relativierte nur wenig die feindliche Einstellung der Polen zu ihren deutschen Nachbarn (aber auch umgekehrt). Zwar traten immer häufiger auch deutsche Freundbilder auf (vor allem im Bezug auf die deutsche Kultur), sie hatten aber kaum Auswirkung auf die dominierende ablehnende Haltung gehabt. Nicht minder erfolglos blieben auch die deutsch-polnischen Annäherungen der 1930er Jahre, als die polnische Regierung ein fünfjähriges Bündnis mit Hitler-Deutschland einging. Zu stark und zu lang waren die negativen Konnotationen tradiert, um das polnische Bild „der Deutschen“ in Frage zu stellen, geschweige denn zu relativieren. Und: Zu oft und zu deutlich hatte sich Hitler zu dem Hauptziel seiner Ostpolitik bekannt – dem Raumgewinn.
Zusammenfassend konnte man festhalten. Die polnische Feindbildkonstruktion den Deutschen und Juden gegenüber nahm seit dem 19. Jahrhundert ähnlichen Erscheinungsformen an. Sie entwickelte sich im Zuge der sozioökonomischen Veränderungen dieser Zeit nicht nur zu einem politischen Argument, sondern auch zu einem festen Bestandteil des nationalen bzw. nationalistischen Bewusstseins. Die Hauptdifferenz zwischen den beiden Feind-Wahrnehmungen bestand dagegen in ihrem Verlauf sowie in den Mechanismen ihrer argumentativen Begründung.[11] Im Gegensatz zur Deutschlandfeindlichkeit bediente sich der polnische (so wie jeder andere) Antisemitismus eines abstrakten Judenbildes und setzte ja keine physische Existenz der Juden voraus; er entwickelte sich vielmehr selbstständig, hielt sich durch den eigenen Schwung in Bewegung, sodass jegliche Bezüge zur Wirklichkeit bloß das geschaffene und gepflegte Bild störten.
Der Unterschied zwischen realen-deutschen und imaginären-jüdischen Feindbildern tritt während des Zweiten Weltkrieges mit aller Deutlichkeit in Erscheinung. Es ist wohl wenig erstaunlich, dass sich während der fast sechs Jahre anhaltenden Unterjochung Polens durch das Nazi-Deutschland [s. Abbildung 3], der Millionen von polnischen Bürgern zum Opfer fielen, ein homogenes Feindbild der Deutschen als Henker und Verbrecher durchsetzte. Der Krieg und die Okkupation haben alle bis dahin existierende positive Konnotationen mit den Deutschen fast völlig zunichte gemacht oder ins Negative gedreht. Genauigkeit, Diszipliniertheit, hohes Kulturniveau oder Ordnungsliebe wurden nun als Gründe für Sadismus, Mordlust und Grausamkeit der Nazis angesehen und als typisch deutsche Eigenschaften betrachtet. In einem populären Lied aus der Okkupationszeit heißt das: „Ihre Kultur hat’s zugelassen, Menschen zu jagen auf off’ner Strasse“.[12]
Für die meisten Polen schien die Kriegs- und Okkupationszeit den vermeintlich tausend Jahre anhaltenden „Drang nach Osten“ abzuschließen. Folgerichtig wurde der Überfall Hitler-Deutschlands als eine direkte Fortsetzung der Raubzüge der brandenburgischen Markgrafen und der Konturen des Deutschen Ritterordens interpretiert, gefolgt von Besetzung der polnischen Gebiete von der Teilungsmacht Preußen, Germanisierungspolitik Bismarcks bis hin zu Grenzkonflikten und Gebietsansprüchen in Weimarer Republik und im Dritten Reich. „Der Helm auf dem Kopf des Soldaten der Wehrmacht“, resümiert Tomasz Szarota, der polnische Historiker, dessen Themenschwerpunkte der 2. Weltkrieg und die Besetzung abdecken, „erscheint so als gewöhnliche Modifikation der preußischen Pickelhaube, das Hakenkreuz erinnerte sehr an das Kreuz an den Mänteln der Ritter des Deutschen Ordens“.[13] Das bis dahin je nach Region und Zeit differenzierte Feindbild „der Deutschen“ bekam nun einen in allen Teilen Polens vorhandenenen linearen, teleologischen Verlauf, der vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert reichte und keinen Spielraum für Abweichungen, Dynamiken und Widersprüchlichkeiten zuließ.
Das teleologische Bild von dem ewigen deutschen Feind wurde vor allem von der Propaganda der polnischen Widerstandsorganisationen getragen. Dabei wurden die Deutschen häufig dehumanisiert und als Monster, herzlose Maschinen oder Pest definiert – eine Feindattribuierung, die eine auch moralische Abschreckungsfunktion erfüllte (besonders gegen jegliche Kollaborationsversuche) und keine abweichende Erfahrung zuließ. Um den aktiven Widerstand gegen den übermächtigen Feind jedoch nicht zu paralysieren, mussten Angst und Furcht kanalisiert werden. Geschickt verband daher die Propaganda der polnischen Untergrundbewegung die Dämonisierung des Feindes mit Spott und Verhöhnung. Der verachtete deutsche Feind erschien verwundbar und besiegbar – wenn nicht durch das schwache militärische Potenzial der Polen, dann durch den nationalen Zusammenhalt und die moralische Übermacht.
Der legitime moralische Alleinvertretungsanspruch der Polen etablierte sich allerdings nicht nur in Abgrenzung gegenüber den Deutschen als Täter-Nation, sondern auch gegenüber den Russen. Im September 1939 geriet Polen in die Zange der deutschen und sowjetischen Interessen. Die 21-jährige Existenz des polnischen Staates wurde mit der Aufteilung zwischen Deutschland und der Sowjetunion beendet. Verlassen und geschlagen begriffen sich die Polen wiederum als Märtyrer und Opfer mehrerer Feinde. Die äußerste Bedrohung wurde mit äußerstem Nationalismus beantwortet, darunter einem unerschütterlichen Antisemitismus. Tragen die Polen auch keine originäre Verantwortung für den Holocaust, so bleibt doch unbestritten, dass die deutsch-sowjetische Besatzungsherrschaft den Antisemitismus in Polen keineswegs verschwinden ließ – im Gegenteil. „Gerade weil“, schreibt Aleksander Smolar, „der polnische Antisemitismus nicht den Makel der Kollaboration mit den Deutschen trug, konnte er während des Krieges prächtig gedeihen – nicht nur auf der Strasse, sondern auch in der Untergrundpresse, in den politischen Parteien und den bewaffneten Einheiten“.[14]
Die Gewissheit, moralisch im Recht zu sein, speiste sich vor allem aus der imaginierten Verbindung von Juden und Kommunismus. Der Kampf gegen die Juden als vermeintliche Träger des Kommunismus wurde zum Teil des Widerstands, wobei sich die Stilisierung der Juden zum „dritten Feind“ (neben NS-Deutschland und der Sowjetunion) durch die nationalistischen Untergrundgruppierungen Polens vorwiegend aus der allgemeinanerkannten Überzeugung vom jüdischen Verrat an Polen während der sowjetischen Besatzung der polnischen Ostgebiete speiste.[15] Das Engagement zahlreicher Juden für den Aufbau des sowjetischen Herrschaftssystems bestätigte die bei vielen Polen vorhandene Ansicht von der „jüdischen Affinität“ zum Kommunismus. Die Vorstellung von einer gegen die polnischen Unabhängigkeitsbestrebungen wirkenden „Judäo-Kommune“ wurde zudem pauschal auf die ganze jüdische Bevölkerung übertragen. Zu den Schattenseiten dieser polnischen Pauschalisierung gehörte aber, dass es der deutschen Okkupationsmacht oft leicht gemacht wurde, jüdische Mitbürger zu liquidieren.[16] Das brutale Pogrom in Jedwabne von 1941, an dem sich die polnischen Einwohner an der Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn aktiv beteiligt hatten, ist dafür das bekannteste Beispiel.
1945 wurden von einem Tag auf den anderen in Polen ein neues System und eine völlig fremde Ordnung dekretiert, und da das kommunistische Regime im Rahmen einer sowjetischen Intervention eingeführt wurde, schien es für die polnische Bevölkerung nahe zu liegen, ihre gegenwärtige Lage einer fremden Macht anzulasten. Schwierig war dies insofern, als die Regierung nun offiziell aus „polnischen Patrioten“ und Kämpfern für die Unabhängigkeit bestand. Doch um Ablehnung gegenüber den Machthabern zu demonstrieren, genügte es, die Regierung als jüdisch und daher als fremd zu diffamieren. Die Beteiligung von jüdischen Kommunisten an der Errichtung des Regimes sowie die durch den Krieg verschärfte und mit der traditionellen Judenfeindschaft gemischte Überzeugung von der jüdischen Unterstützung der Sowjets veranlasste viele Polen, in den Juden die Hauptschuldigen des persönlichen wie nationalen Elends zu sehen. Der Begriff der „Judäo-Kommune“ wurde auf das ganze System angewandt. Materielle Rivalität um die von den Polen im Krieg besetzten jüdischen Güter und die nach wie vor lebendige, religiöse traditionelle Judenfeindschaft (wie z. B. der weiterhin virulente Vorwurf des Ritualmords) bestärkten die dominierenden antisemitischen Projektionen der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Im Antisemitismus, der in der offiziellen antifaschistischen Propaganda der Kommunisten als Verbrechen galt, erblickten allerdings nicht nur die Gegner der neuen Macht, sondern auch die Kommunisten selbst ein „universelles“ Feindbild, das ohne Schwierigkeiten instrumentalisiert werden konnte. Die vertraute Argumentation der „Judäo-Kommune“ war in Anbetracht des Engagements von jüdischen Genossen im Parteiapparat leichter zu manipulieren als andere Feindbilder und konnte so in den Dienst von inner- und außerparteilichen Sonderinteressen gestellt werden. Seit 1948, als es nach der offiziellen Gründung des Staates Israel [s. Abbildung 4] zu einer antizionistischen Wende in der UdSSR und ihren Satellitenstaaten kam, versuchte die kommunistische Propaganda daher skrupellos die antijüdischen Feindbilder zu nutzen, um die Konflikte zwischen Machtapparat und Bevölkerung zu rationalisieren. Die antizionistische Kampagne kulminierte 1967/68, als die Macht der Partei auf dem Spiel stand. Um sie zu stabilisieren, mussten Schuldige gefunden und geopfert werden. Unter „der volksfeindlichen Reaktion“, mithin unter vermeintlichen Spionen, ausländischen Agenten und konspirativen Gruppen in der Partei, die an „Fehlern und Abweichungen“ schuld sein sollten, gab es viele Juden. Sie wurden des Verrats bezichtigt und gemäß den Worten vom damaligen Staatschef, Władysław Gomułka, [s. Abbildung 5] als „fünfte Kolonne“ bezeichnet. Mit ihrem Kampf gegen „Kosmopolitismus“ und „Zionismus“ verwies die kommunistische Propaganda auf den äußeren Feind, während zugleich eine brutale Säuberungsbereitschaft gegen den „Feind“ in den eigenen Reihen geschaffen wurde.[17]
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Beitritt Polens zur EU, die von nationalistischen Parteien als ein anationales, staatenübergreifendes und säkularisiertes Machtzentrum angesehen wird, wird das Feindbild vom „internationalen Juden“, der das Polentum mit Hilfe der EU von innen heraus gefährdet, unweigerlich aufs Neue aktiviert. Minuziös suchen rechtspopulistische und rechtskonservative Gruppierungen sowie manchen Kreisen der katholischen Kirche nach den „jüdischen Drahtziehern“ in der polnischen Politik und Medienlandschaft, um sie als „Schuldige“ an den wirtschaftlichen und sozialen Missständen zu präsentieren. Ohne Bedenken und weitreichende Konsequenzen verbreiten sie ihre judenfeindlichen Parolen in den eigenen Publikationen, Radiosendern oder sogar im polnischen Parlament. Dabei nutzt die judenfeindliche Agitation zur Mobilisierung der antisemitischen Stimmung die Fähigkeit des Gedächtnisses, das Vergangene präsent zu halten. Ihr Erfolg basiert auf der bewusst eingesetzten Umkehrung. Nicht die antijüdischen Feindbilder werden an die Realität angepasst, sondern die Realität wird nach diesen Feindbildern interpretiert und wahrgenommen. Damit wird der Antisemitismus sowohl in den heutigen Alltag als auch in die polnische Geschichte integriert und als Bestandteil der nationalen Selbstbehauptung gerechtfertigt.
Während die antisemitischen Feindbilder in Polen der Nachkriegszeit kaum evaluieren, weist die Deutschfeindlichkeit eine starke Dynamik aus. Grund dafür kann erneut in dem abstrakten Charakter des judenfeindlichen Weltbildes liegen. Im modernen Antisemitismus vollzieht sich eine Abstraktionsleistung, die zur Folge hat, dass das Handeln, Verhalten oder gar die Existenz von Juden für die Entstehung antisemitischer Feindbilder gänzlich irrelevant ist. Vielfältige Erscheinungen in Politik, Ökonomie und Kultur werden auf das verschwörerische und sinistre Handeln „jüdischer Strippenzieher“ zurückgeführt. Dagegen tendiert das polnische Feindbild der Deutschen zur Eindeutigkeit. Es war und ist zunächst der Ausdruck einer Vereinfachung der Realität, jedoch nicht im Sinne einer Abstraktion, sondern einer Reduktion durch die Bestimmung der Freund-Feind-Achse. Die wesentlichsten Voraussetzungen für seine Instrumentalisierung bleiben daher die Konflikt- und Kooperationsstrukturen im bilateralen deutsch-polnischen Verhältnis.
In der Nachkriegszeit durchlief die polnische Wahrnehmung der Deutschen verschiedene Phasen. Ihre Höhen und Tiefen wurden sowohl durch die äußeren Rahmenbedingungen des internationalen Umfeldes als auch durch die innenpolitischen Bedingungsfaktoren geprägt. Gleich nach 1945 galten die Deutschen als der „Feind Nr. 1“. Diese schwere Hypothek ergab sich aus der deutschen Okkupationspolitik und Kriegsführung. Getragen wurde diese Deutschlandfeindlichkeit von der kommunistischen Staats- und Systemdoktrin. „Hitleristen“, „Faschisten“, „Militaristen“ oder „Revanchisten“ waren die ständig wiederholten Kampfparolen und Anklagen an die Adresse des Nachbarn im Westen.
Die starke deutschfeindliche Propaganda entsprang einem politischen Kalkül. Für die als fremd und anational geltenden prosowjetischen Regierungen in Polen war die durchgehende Betonung der „deutschen Gefahr“ eine wichtige Möglichkeit, Zustimmung bei den nicht-kommunistischen Bevölkerungen zu erwerben und die Patronage Moskaus als den einzigen Garanten der polnischen Unabhängigkeit zu präsentieren. Der intensive Bezug auf den heroischen polnischen Kampf gegen den deutschen Feind war ein wichtiger Bestandteil dieser nationalkommunistischen „Anbiederungspolitik“. Es setzte eine intensive Bearbeitung der Bevölkerung mit deutschfeindlichen, bzw. antifaschistischen Erinnerungsinstrumentarien wie Jahrestagen, der Aufstellung von Denkmälern oder Erinnerungstafeln etc. ein. Gleichzeitig half die Faschismusdefinition, die DDR (und alle anderen so genannten antifaschistischen Länder, die einst mit NS-Deutschland kollaborierten) zu entlasten und sie als Brüderstaat darzustellen.[18]
Die Nicht-Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze durch die BRD und der eskalierende Ost-West-Konflikt verhalfen, das offizielle Bild vom ewigen deutsch-polnischen Antagonismus tagespolitisch zu begründen und deutschfeindliche Ereignisse (wie z. B. die Vertreibungen und Umsiedlungen der deutschen Minderheit) zu rechtfertigen. Dennoch wurde das monolitische Feindbild von den Deutschen allmählich in Frage gestellt.[19] Die Versöhnungsgeste der polnischen Bischöfe und die immer lautere Aufforderungen zu einer neuen Ostpolitik in der Bundespolitik haben seit den 1960er Jahren einen friedlichen Wandel der bilateralen Beziehungen eingeleitet, in dessen Mittelpunkt der deutsch-polnische Vertrag über die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen (1970) stand. Obwohl sich die kommunistische Regierung immer wieder bemühte, die deutschfeindlichen Parolen für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren, konnte sie den eingesetzten Prozess der „Entfeindung“ nicht mehr aufhalten.
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus haben die weiteren Verträge zwischen Deutschland und Polen die Wege zur Normalisierung, Versöhnung und Interessengemeinschaft geebnet. Der Beitritt Polens zur NATO und EU verstärkte die politischen Bindungen und schwächte entscheidend die alten „Bedrohungsbilder“. Das bedeutet aber nicht, dass die antideutschen Feindbilder von der politischen Bühne und aus der Diskussion komplett verschwunden sind. Zu lukrativ ist ihre Funktion für die Politik und zu leicht lassen sie sich aktivieren. Auf diese Aktivierung der antideutschen Ressentiments zielen vor allem die rechtskonservativen und rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien, wie z. B. die aktuelle Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). Um ihre (nationalistischen) Interessen durchzusetzen, unterstellt sie der aktuellen Politik Deutschlands – vor allem im Rahmen der EU – imperiale und chauvinistische Absichten. So vergleicht die PiS-Regierung die führende Rolle Deutschlands in der EU mit der NS-Besatzungspolitik, der Bau der Ostseepipeline von Russland nach Deutschland dient ihr als Beleg für die erneute deutsch-russische Verständigung gegen Polen, jegliche Kritik aus Deutschland an dem polnischen antidemokratischen Kurs denunziert sie als deutsche Geschichtsvergessenheit und fordert von Deutschland Reparationszahlungen für polnische Verluste im Zweiten Weltkrieg.
Die antideutschen Ressentiments scheinen als Mittel der Politik allerdings nicht mehr zu funktionieren. Studien zeigen, dass die Sympathien für Deutschland seit den 1990er Jahren kontinuierlich gewachsen sind. Feindbilder sind im polnischen Gedächtnis zweifellos noch vorhanden, vor allem in Bezug auf die Geschichte der Vertreibungen und Umsiedlungen. Viele Polen reagieren mit Skepsis oder auch offener Ablehnung auf die Veränderungen, die sich im Geschichtsbild der Deutschen vollziehen – wo nicht mehr allein an die Schuld, sondern auch an das Leiden von Deutschen erinnert wird, wo neben den deutschen Tätern auch die deutschen Opfer zur Sprache kommen. Getragen wird diese Skepsis, ja gar Ablehnung von der nationalistischen Geschichtspolitik, die die Anerkennung des deutschen Leidens mit der Desavouierung des polnischen Opfers gleichsetzt und sich vehement dagegen wehrt.[20]
Das politisch moralisierende Opferverständnis lässt keinen anderen als den nationalen Blickwinkel auf die deutsch-polnische und jüdisch-polnische Geschichte zu und reichert das historische Denken in Polen erneut mit unhaltbaren Feindbildern an, die sich leicht für politische Zwecke manipulieren und instrumentalisieren lassen. Geschichte ist dann schlicht und einfach ein instrumentalisierbares Gedächtnis einer politischen Gruppe, die alle anderen ausschließt. Angesichts dieser erinnerungspolitischen Feindbildkonstruktionen besteht eine der dringendsten Herausforderungen der Geschichtswissenschaft nun darin, die polnischen Feindbild-Narrative dem politischen Diskurs zu entziehen und zu fragen, warum sich die Freund-Feind-Identifikation zu einem konstitutiven Bestandteil polnischer Geschichte entwickeln konnte. Feindbilder dürfen keine letzten Kategorien des historischen Verstehens sein. Die Geschichten von Freunden und Feinden sind in die Geschichte verstrickt und es bleibt die Aufgabe kritischer Geschichtsschreibung darzustellen, wie und warum der Feind zum Feind wurde.
[1] Weller, Christoph, Feindbilder. Ansätze und Probleme ihrer Erforschung, Bremen 2001; Klemm, Thomas, Christian Lotz, Katja Naumann (Hrsg.), Der Feind im Kopf: Künstlerische Zugänge und wissenschaftliche Analysen zu Feindbildern, Leipzig 2005.
[2] Vgl. Wippermann, Wolfgang, Rassenwahn und Teufelsglaube, Berlin 2005, S. 66f.
[3] Haumann, Heiko, Geschichte der Ostjuden, München 1998, S. 35f.
[4] Maliszewski, Kazimierz, Kształtowanie się stereotypu Niemca i obrazu krajów niemieckich w potocznej świadomości sarmackiej od XVI do połowy XVIII wieku. (próba rekonesansu), in: Kazimierz Wajda (Hrsg.), Polacy i Niemcy: z badań nad kształtowaniem heterostereotypów etnicznych, Toruń 1991, S. 15f. Wobei zu vermerken bleibt, dass sich ihre deutschfeindliche Einstellungen nicht vordergründig auf die konkreten Staatsbildungen bezog, sondern vielmehr auf eine bestimmte Personengruppe. Gemeint waren generell deutschsprachige Protestanten, unabhängig davon welches Territorium sie bewohnten.
[5] Zimorowic, Bartłomiej, Testament Luterski żartownie napisany, Kraków 1623.
[6] Vgl. Hertz, Aleksander, Żydzi w kulturze polskiej, Paris 1961, S. 191.
[7] Barṭal, Yiśraʾel, Geschichte der Juden im östlichen Europa 1772–1881, Göttingen, 2010.
[8] Vgl. Pufelska, Agnieszka, Die „Judäo-Kommune“ – Ein Feindbild in Polen. Das polnische Selbstverständnis im Schatten des Antisemitismus 1939–1948, Paderborn 2007, S. 46-58.
[9] Vgl. dazu Kępiński, Andrzej, Lech i Moskal. Z dziejów stereotypu, Warszawa 1990, S. 141; Piskorski, Jan, Die Deutschen aus polnischer Sicht vor dem Ende des 18. Jahrhunderts, in: Dmitrów, Edmund, Tobias Weger (Hrsg.), Deutschlands östliche Nachbarschaften. Eine Sammlung von historischen Essays für Hans Henning Hahn, Frankfurt am Main, 2009, S. 366.
[10] Die polnische Stilisierung Deutschlands zu einem homogenen Feindbild war zum Teil eine Gegenreaktion auf die polenfeindliche Polemik solcher politischer Gruppierungen wie des national-rassischen Ostmarktvereins. Vgl. Pufelska, Agnieszka, Zwischen Ablehnung und Anerkennung – das polnische Berlin im widerspruchsvollen 19. Jahrhundert, in: Berbig, Roland, Iwan-M D ́Aprile, Helmut Peitsch (Hrsg.), Berlins 19. Jahrhundert. Ein Metropolen-Kompendium, Berlin 2011, S. 47.
[11] Holtz, Klaus, Nationaler Antisemitismus, Hamburg 2001, S. 543.
[12] Deutsche Übersetzung zit. nach Szarota, Tomasz, Die Deutschen in den Augen der Polen während des Zweiten Weltkrieges, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Deutschlandbilder in Polen und Russland, in der Tschechoslowakei und in Ungarn, Baden-Baden 1993, S. 121.
[13] Ebd., S. 122.
[14] Smolar, Aleksander, Unschuld und Tabu in: Babylon. Beiträge zur jüdischen Gegenwart 2, 1987, S. 48.
[15] Vgl. Prekerowa, Teresa, Konspiracyjna Rada Pomocy Żydom w Warszawie 1942–1945, Warszawa 1982, S. 29.
[16] Vgl. Pufelska, Die „Judäo-Kommune“, S. 64-94.
[17] Ebd., S. 243-246.
[18] Vgl. Pufelska, Agnieszka, Der Faschismusbegriff in Osteuropa nach 1945. Ein geschichtsphilosophisch angeleiteter Erklärungsversuch, in: Globisch, Claudia, Volker Weiss, Agnieszka Pufelska (Hrsg.), Die Dynamik der Europäischen Rechten: Geschichte, Kontinuitäten und Wandel, Wiesbaden 2011, S. 281-294.
[19] Jacobsen, Hans-Adolf, Polen und Deutsche. Kontinuität und Wandel gegenseitiger Bilder im 20. Jahrhundert, in: Süssmuth, Hans (Hrsg.), Deutschlandbilder in Polen und Russland, in der Tschechoslowakei und in Ungarn, Baden-Baden 1993, S. 159f.
[20] Vgl. Pufelska, Agnieszka, Raub der Clio. Die polnische Geschichtspolitik und ihre Exekutoren, in: Flierl, Thomas, Elfriede Müller (Hrsg.), Osteuropa- Schlachtfeld der Erinnerung, Berlin 2010, S. 33-56.
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