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Warum haben Sie den Widerstandskampf gestoppt?
Warum haben Sie nicht die Revolution gemacht?“[1]
soll der seinerzeit noch unbekannte Student Adriano Sofri bei einem Vortrag von Palmiro Togliatti, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), gefragt haben. Auf Togliattis Retourkutsche, die Jungen mögen die Revolution doch selber machen [„Provateci, voi, allora, a fare la rivoluzione“], soll Sofri geantwortet haben: „Nun, ich werde es versuchen“ [„Ci proverò, ci proverò“].[2]
Dieser verbale Schlagabtausch zwischen dem traditionellen Kommunistenführer Togliatti – genannt il Migliore, der Beste – und dem jungen Wilden Sofri wird oft als Vorbote der italienischen 68er-Bewegung gesehen. Die erste Besetzung einer Universität folgte 1966. Im Frühjahr 1968 schlossen sich gewaltsame Zusammenstöße zwischen Demonstrierenden und der Polizei an. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die italienischen Studierenden bereits zum Teil der Arbeiterklasse erklärt. Eine neue marxistische Strömung, der Operaismus, war in den 60er Jahren parallel entstanden und befand sich in konsequenter Opposition zur Linie der PCI, deren Generalsekretär ab 1964 Luigi Longo war. Im Sommer 1968 waren die meisten italienischen Universitäten besetzt.
Gleichzeitig weckten die Ereignisse des Frühjahrs 1968 in der Tschechoslowakei Hoffnungen bei den jungen Linken Italiens. Nach der Invasion im August war die Stimmung gedrückt, dennoch lenkte sogar die dogmatische PCI ein, pries die Reformideen und verurteilte das Vorgehen Moskaus.
Im eigenen Land war die Rolle der kommunistischen Partei jedoch mehr als umstritten. Das gesellschaftliche Klima im Italien der späten 1960er Jahre hatte das heftige Aufeinandertreffen von rechter und linker Ideologie begünstigt. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs war das Land von der christdemokratischen Democrazia Cristiana regiert worden, die PCI hatte der bürgerlichen Regierung nichts entgegenzusetzen und kam in den Wahlen nicht über die Stimmen ihrer Basis – der Arbeiterschaft – hinaus. Auf diese Schwäche spielt Sofri wahrscheinlich im oben zitierten Ausspruch an. In der jungen italienischen Linken hatte sich das Narrativ eines verratenen Widerstands verbreitet: Die Resistenza, die italienischen Partisanen, die gegen die Faschisten gekämpft hatten, hätte den Versuch einer Revolution nicht gewagt und so den Weg geebnet für eine bürgerliche Herrschaft und die kapitalistische Produktionsweise in Italien.
Auch wirtschaftlich war das Land gespalten. Während der Norden sich nach dem zweiten Weltkrieg sehr schnell industrialisiert hatte, hatte der Süden nicht Schritt halten können und war noch immer geprägt von Agrarwirtschaft. Folge dieser Ungleichzeitigkeiten war eine starke Binnenmigration: Arbeiterfamilien aus dem Süden siedelten sich im Norden an, um in den Fabriken ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Besonders spürbar wurde dieses Protestpotential in den Werken von Fiat im norditalienischen Turin, wo die Bewegung von 1968 Fuß fassen konnte. Adriano Sofri hatte 1969 die außerparlamentarische Organisation „Lotta Continua“ [„Ständiger Kampf“] gegründet und kämpferische Stimmung unter den Arbeitenden verbreitet. Streiks waren nicht genug, einige Werke wurden für kurze Zeit besetzt.
Die sozialen Kämpfe Italiens durchzogen die gesamten 70er Jahre. 1977 kulminierte der Protest junger, außerparlamentarischer Gruppen noch einmal. Diese Bewegungen fanden erst 1978 mit der Ermordung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro durch Linksterroristen ein Ende. Zu dem Zeitpunkt war bereits klar, dass Adriano Sofri Eines nicht gelungen war – die Revolution. „Lotta Continua“ war 1976 aufgelöst worden. Der aufmüpfige Student Sofri hatte dem Altkommunisten Togliatti versprochen, er würde die Revolution versuchen – bei seinem Versuch ist es geblieben.
Bongiorno, Arrigo, L’utopia bruciata: Praga 1968, Milano 1968.
Bosetti, Giancarlo, „Le ambiguità del Pci. Quando mancò il coraggio di essere ‘eretici’“ in: Reset.it, 03.04.2015, http://www.reset.it/dossier/primavera-di-praga-sinistra-italiana, zuletzt abgerufen am 24.05.2018.
Carminati, Roberto, „Sofri, il prezzo della giustizia” in: Lettera43, 16.01.2012, http://www.lettera43.it/it/articoli/attualita/2012/01/16/sofri-il-prezzo-della-giustizia/29441/, zuletzt abgerufen am 16.04.2018.
Frei, Norbert, 1968: Jugendrevolte und globaler Protest, München 2008.
Giachetti, Diego, Oltre il Sessantotto – Prima durante e dopo il movimento, Pisa 1998.
Lomellini, Valentine, L’appuntamento mancato: La sinistra italiana e il Dissenso nei regimi communisti (1968-1989), Milano 2010.
Sorrento, Aureliana, “1968 in Italien: Feudalistische Zeiten” in: FR.de, 29.07.2008, http://www.fr.de/politik/zeitgeschichte/zeitgeschichte/1968-in-italien-feudalistische-zeiten-a-1174481, zuletzt abgerufen am 15.04.2018.
[1] Sorrento, Aureliana, “1968 in Italien: Feudalistische Zeiten” in: FR.de, 29.07.2008, http://www.fr.de/politik/zeitgeschichte/zeitgeschichte/1968-in-italien-feudalistische-zeiten-a-1174481, zuletzt abgerufen am 15.04.2018.
[2] Carminati, Roberto, „Sofri, il prezzo della giustizia” in: Lettera43, 16.01.2012, http://www.lettera43.it/it/articoli/attualita/2012/01/16/sofri-il-prezzo-della-giustizia/29441/, zuletzt abgerufen am 16.04.2018.
Schon in den 1960er Jahren, noch lange vor Berlusconis Medienimperium, stellte sich die Frage, ob der italienischen Presse – aufgrund der herrschenden Besitzverhältnisse – Neutralität zugestanden werden kann. Im Zentrum der folgenden Analyse stehen die beiden auflagenstärksten, überregionalen Tageszeitungen Corriere della Sera [Abendkurier] und La Stampa, [Die Presse]. Auch wenn diese einflussreichen Familien gehörten, so wurde ihnen zugetraut, kein bloßes Sprachrohr ihrer Besitzer zu sein. Geschätzt wurden sie italienweit insbesondere für ihre Auslandsberichterstattung, die aufgrund eines damals schon sehr breiten Netzwerks an Korrespondenten und „inviati speciali“ [„Sonderberichterstatter“] geleistet werden konnte. Politisch verfolgen beide Zeitungen keine eindeutige Linie. Sie decken ein breites Spektrum an Meinungen ab – vereint sind sie in ihrer antikommunistischen Haltung. La Stampa, die stark auf wirtschaftliche Aspekte fokussiert ist, nimmt sich in besonderem Maße der sozialen Fragen und Brennpunkte des Landes an. Ihren Hauptsitz hat sie in Turin, einem Wirtschaftszentrum in Norditalien. Der Corriere kommt aus Mailand, entstammt also ebenfalls der Medienlandschaft Norditaliens. Er wird in den 1960er Jahren grundsätzlich als konservativ-liberales Blatt angesehen, ohne aber einer konkreten Partei oder Ideologie zu dienen.
Im Kontrast dazu steht die dritte Zeitung, l‘Unità, die am Ende des Textes besprochen wird. Auch bei ihr handelt es sich um eine überregionale Tageszeitung. Ihre Zielgruppe besteht hauptsächlich aus Arbeitern. So ist die Zeitung politisch eindeutig zu verorten, denn wie ihr Untertitel verrät, ist sie „Organ der italienischen kommunistischen Partei“ [„Organo del partito comunista italiano“].
Das Interesse von Corriere della Sera und La Stampa an den Geschehnissen in der Tschechoslowakei schwankte im Verlaufe des Jahres 1968.
Im gesamten Januar erschienen im Corriere drei Artikel über das Land – der erste gleich am Zweiten des Monats, der sich mit der Neujahrsansprache des damaligen Präsidenten der Tschechoslowakei, Antonín Novotný, befasste.[2] La Stampa schrieb zum ersten Mal am 4. Januar 1968 über eine mögliche Ablösung des Ersten Sekretärs der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei (KSČ). Im Artikel „Das Zentralkomitee hat sich in Prag versammelt, um über Novotný zu entscheiden“ stellte der Autor besonders die Parteivertretungen in der Slowakei und in Mähren als Gegenspieler Novotnýs dar. Auch „Dubček, der Sekretär der slowakischen kommunistischen Partei“,[3] fand unter ihnen Erwähnung. Am 5. Januar wurden der Technokrat Oldřich Černík und Alexander Dubček als mögliche Nachfolger ins Spiel gebracht.
Der Corriere widmete am 6. Januar der Übernahme des Amtes des Ersten Sekretärs der Partei einen längeren Artikel.[4] Alexander Dubček war in diesem allerdings zunächst nur Nebenfigur. Mit seiner Persönlichkeit setzten sich die Autoren nicht eingehend auseinander. Eine genauere Beschreibung seiner Persönlichkeit fand nicht statt.
Am 7. Januar schrieb auch für La Stampa der inviato speciale Massimo Conti „der Fall des vorletzten stalinistischen Führers in Osteuropa war ein besonders wichtiges Ereignis und das nicht nur für die Tschechoslowakei“[5]. Conti konstruierte in diesem Artikel Dubček ganz klar als Gegenüber Novotnýs, bereit für einen mutigen Schritt in Richtung wirtschaftlicher Reformen. Die Wahl Dubčeks könne als Ansatz für eine Entspannung zwischen den Blöcken gesehen werden. Dem sowjetischen Parteichef Leonid Brežnev missfalle das natürlich, denn nach dem Fall des vorletzten bliebe ihm nur noch der allerletzte „stalinistische Führer“ Walter Ulbricht als sicherer Verbündeter.
Diese gegensätzliche Darstellungsweise der beiden Politiker Dubček und Novotný zog sich im Corriere durch die nachfolgende Berichterstattung. Ein Artikel betitelte Novotný als „neben Ulbricht einen der wenigen überbleibenden Stalinisten“[6] und verordnete diesen damit verhältnismäßig klar als Reformfeind. Dubček indessen erschien als positive Figur, dennoch fiel es den Autoren offenbar schwer, ihn politisch eindeutig zu fassen. Schließlich gelangten sie zu der vorsichtigen Einschätzung, Dubček gehöre zu den Befürwortern von Reformen, nicht aber einer Abschaffung des Kommunismus.
Es ist auffällig, dass die Aufhebung der Zensur in der Tschechoslowakei am 4. März 1968 weder im Corriere noch in La Stampa Erwähnung fand. Erst am 17. März kam Dubček in La Stampa wieder zum Vorschein. Unter dem Titel „Dubček verkündet in Prag die vollständige Autonomie von der UdSSR“ zitierte Massimo Conti aus einer Rede Dubčeks in Brünn, in der dieser erklärte, dass die Tschechoslowakei ein sozialistisches Land bleiben, aber ihre Beziehungen mit dem Westen ausbauen wolle. Und das wäre, laut Conti, gerade noch rechtzeitig, denn die Lage im Land sei düster, „die Wirtschaft ist in einer schweren Krise; die Kultur wurde mit stalinistischen Methoden gedemütigt“[7].
Auf derselben Seite der Zeitung erschien ein Portrait Antonín Novotnýs. Dieser habe in den letzten Jahren seine Herrschaft nur durch „die Vogelscheuche der Leere“[8] aufrechterhalten, die ohne ihn das Land überzogen hätte. Sprich, Novotný habe die Konkurrenz klein gehalten, indem er die Bevölkerung glauben ließ, sein Weggang würde ein Machtvakuum hinterlassen.
Als dann Novotný am 22. März auch von seinem Amt als Staatsoberhaupt zurücktrat, berichtete der Corriere auf Seite 1 mit Schlagworten wie „Ende des Stalinismus“ und „Endlich ist Novotný zurückgetreten“[9] geradezu euphorisch über den Reformprozess in der Tschechoslowakei.
Auch La Stampa titelte „Die Ära des Stalinismus in Prag ist vorüber“[10]. Am 25. dann erschien in der Abendzeitung Stampa Sera in der Rubrik „Ultime notizie“ [„Letzte Meldungen“] der Artikel „Schwerer Druck auf Dubček vonseiten der Kommunistenführer“[11] über die Dresdner Konferenz vom 23. März, einem Gipfel der Staatschefs Bulgariens, der DDR, Polens, der UdSSR, Ungarns und der Tschechoslowakei. Dort sei besonders Dubčeks Versuch, sich der Bundesrepublik Deutschland anzunähern, gerügt worden. Unter der kleinen Überschrift „Wurden (wie laut englischen Zeitungen) russische Truppen an die tschechische Grenze geschickt?“[12] schloss sich Stampa Sera sogar ersten Spekulationen des britischen Sunday Express über eine drohende sowjetische Militärintervention in der Tschechoslowakei an.
Im Corriere ist auffällig, dass – nachdem ein Teil des „Gegenspielerpaars“ Novotný-Dubček von der politischen Bühne abgetreten war – sich eine neue Konstellation anzudeuten schien. Nur dass es dieses Mal Dubček war, dessen Qualitäten als Reformer in Zweifel gezogen wurden. Die Berichterstattung ging immer wieder auf die Debatten innerhalb des Schriftstellerverbandes in der ČSSR ein, wobei sie einen besonderen Blick auf Ludvík Vaculík, den Verfasser des Manifests der 2000 Worte, warf. Ein Artikel, dessen Titel bedeutungsschwanger „Das Gewissen Prags“[13] lautete, nahm die beiden Protagonisten auf Seite 5 in einer ausführlichen Analyse unter die Lupe. Der Autor kam zu dem Schluss, dass die Schriftsteller insofern glaubwürdiger als Dubček seien, als sie ihren „neuen Kurs“ von freiheitlichen Werten und Demokratie stringent verfolgen. Dubček hingegen sei intransparent geworden, denn man könne nicht wissen, ob die kommunistische Partei, der Dubček im Gegensatz zu Vaculík angehörte [dieser war schon 1967 ausgeschlossen worden], nun wirklich alle geforderten freiheitlichen Werte umsetzen – oder sich möglicherweise doch Moskau beugen werde.
Die Einschätzung, dass die Intellektuellen möglicherweise die „besseren Reformer“ als Dubček seien, ließ sich insbesondere ab Ende Juli 1968 im Corriere mehrmals finden. Zu diesem Zeitpunkt gewann die Berichterstattung über die Tschechoslowakei im Zuge des sich anbahnenden Treffens von Vertretern der ČSSR und der UdSSR in Čierna nad Tisou an Intensität. In den großen Schlagzeilen wurde letztlich meistens Dubček unterstützt, aber in der Hintergrundberichterstattung traute man sich kein vollständig positives Urteil zu, stufte man ihn doch wiederholt als undurchschaubar ein.
Gleichzeitig erinnerten beide Zeitungen an das Münchner Abkommen von 1938. Dabei lässt sich das Narrativ des Zusammenrückens der „kleinen“ tschechoslowakischen Nation gegenüber der Bedrohung durch die (wiederholte) Bedrängung seitens einer Großmacht beobachten. Im Leitartikel „Das tschechisch-sowjetische Treffen wurde verschoben – Neue russische Manöver an den Grenzen“[14] der Stampa vom 26. Juli beschrieb der inviato speciale Igor Man die Situation in der Tschechoslowakei kurz vor dem angekündigten, aber verschobenen Gipfel. Die Erinnerung an München erschien erstmals in einem Zitat aus einem Brief tschechoslowakischer Arbeiter an die KSČ. Die Nachricht gleicht einer diktierten Presseerklärung und ist positiv formuliert. Die Arbeiter schrieben, das Volk sei seit München nie mehr so vereint gewesen, die Führung habe nie mehr so viel Rückhalt gehabt wie in diesen Tagen.
Im Corriere lässt sich eine ähnliche Art der Bezugnahme auf das Münchner Abkommen finden. Denn, wie inviato speciale Enzo Bettiza schrieb, „seit den Tagen von München hat dieses mitteleuropäische Land nicht so angespannte und angstvolle Tage erlebt“[15]. Der Corriere thematisierte somit sehr stark die Angst und Anspannung, die die Bedrohung einer „kleinen Nation“ durch eine Großmacht auslöste.
Für La Stampa formulierte Carlo Casalegno am 28. Juli: „Die Tschechoslowaken haben Recht, an das Klima von München 1938 zu erinnern: die Sowjets scheinen entschieden, diese Kraftprobe zu gewinnen und, abgesehen von einem direkten Militärschlag, wenden sie bereits alle Mittel der Einschüchterung an“[16]. Zugleich zeigte sich der Casalegno hoffnungsvoll, denn es wäre „ein großer Erfolg, wenn [die Tschechoslowaken] von den Russen ihr Recht erlangen würden, ihr Experiment der Freiheit wenigstens in Teilen zu entwickeln“[17].
Ab Anfang August berichtete der Corriere beinahe täglich über die Tschechoslowakei und stellte die Situation fast ausschließlich als sich zuspitzend dar. Mag diese Sichtweise auf die Entwicklungen in der ČSSR eine Nachvollziehbare sein – schließlich hatte das Treffen in Čierna nad Tisou und die Verhandlungen in Bratislava keine konkreten Ergebnisse gebracht – so berichtete der Corriere ab diesem Zeitpunkt sehr emotional. In der Stampa ist etwas Vergleichbares zu beobachten. Am 2. August überschrieb der inviato speciale seinen Bericht aus der Tschechoslowakei auf der Titelseite mit „Dramatische Kundgebung in der Nacht – Die Menschenmenge brüllt: ‚Weg mit den Sowjets‘“[18].
Die Fronten schienen klar – die UdSSR als Aggressor und die Tschechoslowakei als Opfer, das aber Widerstand leistete. Einzelne Personen, darunter auch Dubček, rückten wieder in den Hintergrund. Eine Ausnahme bildete ein Artikel vom 8. August im Corriere. Unter dem Titel „Der phlegmatische und unbeirrbare Dubček“[19] widmete sich inviato speciale Enzo Bettiza, der häufig über die ČSSR schrieb, ganz speziell dessen Persönlichkeit. Diese kurze „Charakterstudie“ kam allerdings zu keinem anderen Ergebnis als die Artikel zuvor. Der Autor beschrieb Dubček als intelligent und berechnend, eher passiv im Hintergrund als aktiv mit Taten – so sei es diesem gelungen, Widerstand gegen die Sowjetunion zu leisten. Allerdings deutete Bettiza mit seinen Worten auch an, dass man Dubčeks Handeln, welches sich eher im Hintergrund abspiele, auch als ‚Phlegma‘ interpretieren könne. Offensichtlich war Dubčeks Handeln, das ohnehin oft mehr durch Nachdenken und Worte als durch echte Taten sichtbar wurde, nicht für jeden verständlich und nachvollziehbar. Mit diesem Gedankenstrang nährte Bettiza die Zweifel, die der Corriere schon mehrmals zuvor geäußert hatte: Ist Dubček wirklich ein entschlossener Reformer, oder wird er nicht doch unter dem Druck der UdSSR zusammenbrechen? Hier wurden zwei Interpretationsweisen angeboten, welcher er sich anschloss, blieb dem Leser überlassen. Der Autor fällte kein eindeutiges Urteil.
Am 22. August wurde mit „Stunden des Schreckens in Prag“[20] die Berichterstattung des Corriere über die Invasion eingeleitet. Es folgte eine wahre Fülle an Artikeln, verschiedene iniviati speciali und Korrespondenten berichteten parallel. Wie schon diese erste Schlagzeile zeigte, waren diese in ihrer Wortwahl nicht zurückhaltend – es folgten Titel wie „Wie die Freiheit stirbt“[21] und „Der Todeskampf der tschechoslowakischen Unabhängigkeit“[22]. Diese spiegelten die Grundhaltung der Berichterstattung wider: Die Sowjetunion hat gewonnen, der Kommunismus ist unreformierbar – Hoffnungen jedenfalls drückten die Berichterstatter nicht aus.
La Stampa berichtete in vergleichbarer Intensität wie der Corriere und nicht weniger emotional. Schon am 21. August wurde eine als „Ultima Ora“[23] [„Letzte Stunde“] eingeordnete kurze Meldung veröffentlicht, die den Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei erklärte. Am 22. dann wurden die ersten drei Seiten mit Meldungen zur Invasion gefüllt. Besonders fällt Fernando Vegas‘ Leitartikel auf: „Die Feinde der Freiheit“[24]. Darin stellte er einen Bezug zum Aufstand 1956 in Ungarn her und bezeichnete die sowjetischen Panzer als „letztes ideologisches Argument“[25]. Die „Ultima Ora“ des 22. schließlich war sehr eindeutig: „In der Nacht wird geschossen“[26].
“L’utopia bruciata, dunque, è quello del socialismo stalinistico in decenni di assurde ‚deformazioni‘ politiche e ideologiche e su cui miseri resti sono passati i cingoli dei tank degli eserciti del patto di Varsavia che, invece, nell’intento dei dirigenti die Mosca, avrebbero dovuto salvarla.”[27]
[„Die niedergebrannte Utopie, also, ist die des stalinistischen Sozialismus in den Jahrzehnen der absurden politischen und ideologischen Verunstaltung, und die, über deren elende Reste die Panzerraupen der Heere des Warschauer Paktes gerollt sind, die – der Absicht der Strippenzieher in Moskau nach – sie hätten retten sollen.“]
So erklärte der italienische Journalist Arrigio Bongiorno den Titel seines Buches über den Prager Frühling und dessen Ende, das 1969 erschien. „L’utopia bruciata“ war für den Journalisten, der in linken und sozialistischen Publikationen veröffentlichte, Ausdruck einer verlorenen Hoffnung. Und tatsächlich wurde der Prager Frühling von vielen italienischen Linken als eine große Chance auf einen neuen Weg zum Sozialismus gesehen – als ein Gegenentwurf zum „‚comunismo da caserna‘“[28], dem „Kasernenkommunismus“, als der die sozialistische Herrschaft jenseits des Eisernen Vorhangs verschrien war.
Bis 1968 hatten sich in Italien viele neue linke Gruppierungen außerhalb des formalisierten politischen Betriebs gebildet. Studierende, die die Universitäten besetzten, sowie außerparlamentarische Gruppen mit Ziel Revolution nahmen eine sehr wohlwollende Haltung gegenüber den Vorgängen in der Tschechoslowakei ein. Die etablierten sozialistischen Kräfte hingegen, die Parteien PCI und PSU, waren in ihren Meinungen gespalten. Während die PSU (Partito Socialista Unificato), ein Zusammenschluss aus sozialdemokratischer Partei und der Italienischen Sozialistischen Partei, PSI, den Reformkurs Dubčeks von Anfang an positiv aufnahm, fiel dies der Italienischen Kommunistischen Partei, PCI, die als verlängerter Arm Moskaus galt, schwerer. Deren Generalsekretär Luigi Longo reiste aber im Mai in die Tschechoslowakei, was als Bekenntnis zum ‚neuen Weg‘ gewertet wurde. Bis dahin hatte die PSU diesen heftig kritisiert und auf ‚Autonomie‘ gepocht – Parteilinke meinten damit die Autonomie der italienischen Kommunisten von Moskau, Parteirechte die Autonomie ‚ihrer‘ Sozialisten von den Kommunisten. Dass die PSU sich zu diesem Zeitpunkt als Teil einer Regierungskoalition „centro-sinistra“[29] [„Mitte-links“] mit einer liberalen und der christdemokratischen Partei an der Macht befand, befeuerte den innerlinken Konflikt weiter. Kurz gesagt, die PSU stand der PCI zu weit rechts, die PCI der PSU zu nah an Moskau.
Diese Spannung löste sich auf, als l’Unità [„die Einheit“], die Parteizeitung der PCI, am 22. August 1968 titelte „Das Politbüro der PCI drückt seinen schwerwiegenden Dissens aus“[30]. Spätestens zu diesem Zeitpunkt waren sich die sozialistische wie kommunistische Partei Italiens einig: die Staaten des Warschauer Paktes – oder, wie es umgangssprachlich meistens hieß, Moskau – waren zu weit gegangen.
Allgemein stand l’Unità nicht immer auf Seiten der sowjetischen ‚Mutterpartei‘, ihr aber stets nahe. So wurde über das Treffen des Zentralkomitees der KSČ, auf dem Novotný als Erster Sekretär durch Dubček ersetzt wurde, am 6. Januar auf Seite 12 vollkommen unkritisch berichtet. Ein kritischer Betrachter kann aus dem kurzen Vermerk auf der Titelseite ein leichtes Misstrauen gegenüber dem Neuling Dubček herauslesen: Novotný wurde als „compagno“[31] [„Genosse“] bezeichnet, Dubček nicht.
Im Vorfeld des Treffens der Vertreter von Tschechoslowakei und Sowjetunion in Čierna nad Tisou versuchte l’Unità möglichst unparteiisch zwischen KSČ und KPSS zu bleiben. So gab sie der Pravda das Wort, zitierte aber auch aus Prag: „Sozialismus, Allianz, Souveränität, Freiheit“[32].
Erst am 22. August machte die l’Unità klar, dass der PCI mit dem Vorgehen der Sowjetunion nicht einverstanden war und druckte eine Protestnote der Partei ab. Dennoch war bereits am 24. August für l’Unità eindeutig, wer der wahre Feind sein musste. Der Kommentar von Roberto Romani zur Situation in der Tschechoslowakei war so überschrieben: „Prag und die dreckigen Hände der bürgerlichen Presse“[33]
Der Prager Frühling und seine gewaltsame Niederschlagung brachten Bewegung in die zersplitterte italienische Linke. Seit dem heftigen Einschnitt, den die Invasion in die Tschechoslowakei bildete, näherten sich die PSI und die PCI wieder an – zwischenzeitlich stand sogar eine (Wieder-)Vereinigung im Raum. Mit der Wahl des Parteirechten Mauro Ferri zum Vorsitzenden der PSU im Oktober 1968 und der Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen PCI und KPdSU bis zum Sommer 1969, war die Annäherung schnell wieder vergangen. Nicht anders als das ersehnte Paradies, das in Prag niedergebrannt wurde, blieb auch eine geeinte parlamentarische Linke in Italien ein Wunschtraum. Während aber in der Tschechoslowakei die sogenannte Normalisierung einsetzte, tobten die sozialen Kämpfe in Italien 1969 weiter.
So unterschiedlich die Berichterstattung der „bürgerlichen Presse“ (Corriere und La Stampa) und der Parteizeitung l’Unità auch waren, so hatten sie dennoch gewisse Punkte gemeinsam. Für Corriere und La Stampa waren die Fronten von Anfang an geklärt. Es stand die aggressive, reformunwillige und stalinistische Sowjetunion gegen die kleine, reformwillige und sich kämpferisch gebende Tschechoslowakei. Dass beide Zeitungen den Reformprozess unterstützten, ist offensichtlich. Für l’Unità war es ein schwieriger Prozess, der aber letztlich zu einem ähnlichen Bild führte: Die Sowjetunion war zu weit gegangen. Als die Warschauer Pakt-Staaten in die ČSSR einmarschierten, verurteilte man dies. Ebenso verbindet alle drei Zeitungen eine gewisse Unsicherheit in der Einschätzung Alexander Dubčeks. Corriere und La Stampa feierten ihn teilweise als großen Reformer, ließen ihre Leser aber wissen, dass sie sich kein endgültiges Urteil über ihn zutrauten. Auch l’Unità tat sich schwer mit dem neuen Mann an der Spitze – man zweifelte offenbar an seiner Treue zum Kommunismus, schließlich bezeichnete man ihn in der Berichterstattung nicht durchgehend als „compagno“ [„Genossen“]. Die bürgerliche Presse hingegen fragte sich, ob Dubček als bekennender Sozialist sich nicht doch irgendwann Moskau beugen werde.
Man könnte sagen, dass sich innerhalb der italienischen Linken ein kleiner Prager Frühling abspielte. Reformwillige gegen UdSSR-Getreue – beide Seiten wollten aufeinander zugehen, wahrscheinlich mehr als im Mutterland des Konflikts, schafften es aber nicht. Dieser innere Konflikt wurde auch in beim politischen Gegner – den konservativen Journalisten – wahrgenommen und kommentiert. La Stampa und der Corriere della Sera berichteten sehr intensiv über die Diskussionen innerhalb der Linken. Der Geist der 68er war in Italien auf allen Seiten der Presse spürbar.
Bongiorno, Arrigo, L’utopia bruciata: Praga 1968, Milano 1968.
Giachetti, Diego, Oltre il Sessantotto – Prima durante e dopo il movimento, Pisa 1998.
Leoncini, Francesco, “Radici storici e attualità del dissenso cecoslovacco: Tomaš Garrigue Masaryk, Alexander Dubček, Václav Havel” in Tito Forcellese, Giovanni Franchi & Antonio Macchia (Hrsg.), La fine del comunismo in Europa: regimi e dissidenze, 1956-1989, Soveria Mannelli 2016, 231-54.
Lomellini, Valentine, L’appuntamento mancato: La sinistra italiana e il Dissenso nei regimi communisti (1968-1989), Milano 2010, 7-51.
Merill, John C. & Harold A. Fisher, The World’s Great Dailies: Profiles of Fifty Newspapers, New York 1980.
Corriere della Sera
La Stampa
L’Unità
[1] “Il flemmatico e irriducibile Dubcek” [„Der phlegmatische und unbeirrbare Dubček“], Corriere della Sera, 08.08.1968, 3.
[2] “Preannunciati a Praga ‘importanti fatti politici’” [„‚Wichtige politischen Fakten‘ in Prag angekündigt“], in: Corriere della Sera, 02.01.1968, 15.
[3] Beide “Il Comitato centrale a Praga riunito per decidere su Novotny” [„Das Zentralkomitee hat sich in Prag versammelt, um über Novotný zu entscheiden“], in: La Stampa, 04.01.1968, 6.
[4] “Novotny sostituito da Dubcek a Praga” [„Novotný von Dubček in Prag ersetzt“], in: Corriere della Sera, 06.01.1968, 15.
[5] “La caduta di Novotny è un sacco per l’Urss” [„Der Fall Novotnýs ist ein Korb für die UdSSR“], in: La Stampa, 07.01.1968, 1.
[6] “Novotny sostituito da Dubcek a Praga” [„Novotný von Dubček in Prag ersetzt“], in: Corriere della Sera, 06.01.1968, 15.
[7] Ebd.
[8] “Chi è l’esautorato Novotny” [„Wer der diskreditierte Novotný ist“], in: La Stampa, 9.
[9] Beide “Caduta di Novotny” [„Novotnýs Fall“], in: Corriere della Sera, 23.02.1968, 1.
[10] “È finita a Praga l’èra dello stalinismo – Novotny si è dismesso” [„Die Ära des Stalinismus in Prag ist vorüber – Novotny ist zurückgetreten“], in: La Stampa, 23.03.1968, 1.
[11] “Pesanti pressioni su Dubcek da parte dei capi comunisti” [„Schwerer Druck auf Dubček vonseiten der Kommunistenführer“], in: Stampa Sera, 25.03.1968, 15.
[12] Ebd.
[13] “La coscienza di Praga” [„Das Gewissen Prags“], in: Corriere della Sera, 20.07.1968, 5.
[14] “Rinviato l’incontro cèco-sovietico – Nuove manovre russe ai confini” [„Das tschechisch-sowjetische Treffen wurde verschoben – Neue russische Manöver an den Grenzen“], in: La Stampa, 26.07.1968, 1.
[15] “Dubeck respinge le pressioni russe” [„Dubcek wehrt den russischen Druck ab“], in: Corriere della Sera, 19.07.1968, 1.
[16] “Dubcek dichiara: ‘Abbiamo il diritto du decidere da noi’” [„Dubček erklärt: Wir haben das Recht, selbst zu entscheiden‘“], in: La Stampa, 28.07.1968, 1
[17i] Ebd.
[18] “Drammatico comizio nella notte – La folla urla: ‘Via i sovietici’” [„Dramatische Kundgebung in der Nacht – Die Menschenmenge brüllt: ‚Weg mit den Sowjetis‘“], in: La Stampa, 02.08.1968, 1.
[19] “Il flemmatico e irriducibile Dubcek” [„Der phlegmatische und unbeirrbare Dubček“], in: Corriere della Sera, 08.08.1968, 3.
[20] “Ore di Terrore a Praga” [„Stunden des Schreckens in Prag“], in: Corriere della Sera, 22.08.1968, 1.
[21] “Come muore la libertà” [„Wie die Freiheit stirbt“], in: Corriere della Sera, 22.08.1968, 3.
[22] “L’agonia dell’indipendenza cecoslovacca”[xxi] [„Der Todeskampf der tschechoslowakischen Unabhängigkeit“], in: Corriere della Sera, 22.08.1968, 5.
[23] “Truppe sovietiche entrate in Cecoslovacchia” [„Sowjetische Truppen haben die Tschechoslowakei betreten“], in: La Stampa, 21.08.1968, 1.
[24] “I nemici della libertà”[xxiii] [„Die Feinde der Freiheit“], in: La Stampa, 22.08.1968, 2.
[25] Ebd.
[26] “Si spara nella notte” [„In der Nacht wird geschossen“], in: La Stampa, 22.08.1968, 1.
[27] Bongiorno, Arrigo, L’utopia bruciata: Praga 1968, Milano: Sugar, 1968, 7.
[28] Leoncini, Francesco, “Radici storici e attualità del dissenso cecoslovacco: Tomaš Garrigue Masaryk, Alexander Dubček, Václav Havel” in Forcellese, Tito, Giovanni Franchi & Antonio Macchia (Hrsg.), La fine del comunismo in Europa: regimi e dissidenze, 1956-1989, Soveria Mannelli: Rubettino Editore, 2016, 248.
[29] Lomellini, Valentine, L’appuntamento mancato: La sinistra italiana e il Dissenso nei regimi communisti (1968-1989), Milano: Mondadori Education, 2010, 11.
[30] “Ore drammatiche a Praga – L’Ufficio Politico del PCI esprime il suo grave dissenso”, in: L’Unità, Nr. 222, 22.08.1968, 1.
[31] “Dubcek nuovo segretario del PC cecoslovacco” [„Dubček neuer Sekretär der kommunistischen Partei der Tschechoslowakei“], in: L’Unità, 06.01.1968, 1.
[32] “Domani comincerebbe l’incontro PCUS-PCC” [„Morgen soll das Treffen zwischen KPSS und KSČ beginnen“], in: L’Unità, 28.07.1968, 1 sowie 16.
[33] “Praga e le mani sporche della stampa borghese.” [„Prag und die dreckigen Hände der bürgerlichen Presse“], in: L’Unità, 24.08.1968, 3.
Leonid Il'ič Brežnev (1906-1982) – war von 1964 bis 1982 Erster Sekretär (ab 1966 Generalsekretär) der KPdSU. Unter seiner Führung setzte in der UdSSR eine verschärfte Reglementierung des kulturellen Lebens sowie eine vorsichtige Rehabilitierung Stalins ein. Außenpolitisch verstärkte Brežnev den Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der kommunistischen Staatenwelt, insbesondere in Europa. So wurde die Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei mit der These der beschränkten Souveränität der Staaten (Brežnev-Doktrin) des sozialistischen Lagers gerechtfertigt.
Verwendete Literatur:
„Breschnew, Brežnev“ in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 3, Bed-Brn, Mannheim 1987.
Oldřich Černík (1921-1994) – war ein tschechoslowakischer Politiker. Parallel zu seiner raschen Karriere innerhalb der KSČ qualifizierte er sich zum metallurgischen Ingenieur. Er wurde im März 1968 zum Ministerpräsidenten gewählt und zeigte sich reformwillig. Nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR im August 1968 gehörte er neben Staatspräsident Svoboda, Parteichef Dubček und Josef Smrkovsky zu denjenigen, die das Diktat Moskaus zur Beendigung aller Reformen in der Tschechoslowakei unterschrieben. 1969 versuchte er sein Verhalten während des Prager Frühlings zu relativieren und verurteilte den Reformprozess öffentlich. 1970 verlor er dennoch das Amt des Ministerpräsidenten und wurde aus der Partei ausgeschlossen. Danach hatte er keine politisch bedeutsamen Ämter mehr inne.
Verwendete Literatur:
„Černík, Oldrich“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.
Čierna nad Tisou – ist eine slowakische Kleinstadt im Dreiländereck zwischen der Slowakei, der Ukraine und Ungarn. Vom 29. Juli bis zum 1. August 1968 fanden in der Grenzstadt zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion bilaterale Verhandlungen zwischen Vertretern des sowjetischen Politbüros und der tschechoslowakischen Regierung statt. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem Leonid Brežnev, Alexej Kossygin, Nikolaj Podgorny, Alexander Dubček und Ludvík Svoboda. Für die Sowjetunion waren die Verhandlungen der letzte Versuch, dem Prager Frühling und Dubčeks Reformkurs ohne Anwendung von Gewalt Einhalt zu gebieten. Den beiden Seiten gelang, in Čierna nad Tisou zumindest eine kurzfristige Einigung zu erreichen, die wenig später in Bratislava ratifiziert wurde.
Verwendete Literatur:
Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt. Stuttgart 2018, 271-280.
Alexander Dubček (1921-1992) – war ein tschechoslowakischer Politiker und eine der zentralen Figuren des Prager Frühlings. Dubček wuchs größtenteils in der UdSSR auf, wo sein Vater im Rahmen der „Internationalen Arbeiterhilfe“ als Tischler tätig war. In den 1930er Jahre machte er eine Ausbildung zum Schlosser. 1939 trat er der illegal gegründeten Kommunistischen Partei der Slowakei (Komunistická strana slovenska – KSS) bei und war im antifaschistischen Widerstand tätig. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann sein Aufstieg innerhalb der KSČ. 1958 vollendete er sein Studium an der Parteihochschule des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU in Moskau mit Auszeichnung. Danach studierte er an der juristischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava und beschloss sein Studium mit einer sozialwissenschaftlichen Dissertation.
Am 6. Januar 1968 wurde er zum neuen Ersten Sekretär des ZK der KSČ gewählt und avancierte in der ersten Hälfte des Jahres 1968 zur Symbolfigur des Prager Frühlings. Nach dessen Niederschlagung wurde er nach Moskau verschleppt und gezwungen das "Moskauer Protokoll", das alle Reformprozess in der ČSSR beenden sollte, zu unterschreiben.
Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter distanzierte er sich nie von seinem Engagement für den Reformsozialismus. Aus der KSČ wurde er ausgeschlossen. Daraufhin war er als Aufsicht im Fuhrpark eines Forstbetriebs in Bratislava tätig, wo er bis zu seiner Pensionierung 1986 arbeitete.
Dubček unterstützte 1989 die Protestbewegung und den demokratischen Umbruch. Dass danach keine zentrale Rolle mehr spielte, lag auch daran, dass seine Person in den Augen vieler Menschen zu stark mit dem Kommunismus verknüpft war. Dennoch wurde er Parlamentspräsident, trat allerdings im Juli 1991 zurück, da er die slowakischen Abspaltungsbestrebungen nicht unterstützte.
Dubček starb am 7. Oktober 1992 an den Folgen eines Autounfalls.
Verwendete Literatur:
„Dubček, Alexander“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.
Komunistická strana Československa (KSČ) [Kommunistische Partei der Tschechoslowakei] – war in den Jahren 1948 bis 1989 alleinige Regierungspartei in der Tschechoslowakischen Republik. Die Partei gründete sich im Mai 1921 durch die Abspaltung von der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei (ČSSD). 1929 erfolgte die Stalinisierung. Während des Zweiten Weltkriegs war die KSČ verboten, arbeitete aber illegal weiter und stellte ein Zentrum der Widerstandsbewegung dar. Das brachte ihr nach Kriegsende viele Sympathien ein, so war sie die stärkste Kraft der 1945 gegründeten Nationalen Front und erhielt in den Wahlen von 1946 den größten Stimmenanteil. Im Februar 1948 setzte die die KSČ ihr Machtmonopol durch, es begann eine Phase der Verfolgung und Schauprozesse. 1968 strebte die KSČ unter der Führung von Alexander Dubček eine eigene Form des Sozialismus an. Die sowjetische Führung betrachtete dieses reformsozialistische Experiment als konterrevolutionär. Nach der militärischen Intervention im August 1968 wurde eine konservative, Moskau-treue Parteiführung unter Gustáv Husák eingesetzt, die einen Prozess der „Normalisierung“ einleitete. Das Machtmonopol der KSČ wurde am 17. November 1989 durch die Samtene Revolution beendet. Die heutige Nachfolgeorganisation der KSČ in Tschechien ist die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens KSČM.
Verwendete Literatur:
Malíř, Jiří & Pavel Marek (Hrsg.), Politické strany. Vývoj politických stran a hnutí v českých zemích a Československu 1861-2004 [Politische Parteien. Entwicklung der politischen Bewegungen in Böhmischen Ländern und der Tschechoslowakei 1861-2004] Bd. 2. Brno 2005.
Kommunističeskaja Partija Sovjetskogo Sojusa (KPSS) [Kommunistische Partei der Sowjetunion, KPdSU] – war die regierende Partei der Sowjetunion. Sie ging 1925 aus der seit 1918 existierenden Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) hervor und verfolgte das Ziel, die marxistisch-leninistische Ideologie zu verwirklichen. Die KPdSU war eine Kaderpartei, die sich nach den Grundsätzen des sogenannten demokratischen Zentralismus organisierte. Höchstes Parteiorgan war der Parteitag, der das Zentralkomitee als Leitorgan für fünf Jahre wählte. Aus diesem gingen die beiden höchsten Entscheidungsgremien, das Politbüro und das Sekretariat des ZK, hervor. Das Machtmonopol der KPdSU wurde 1990 aufgehoben, nach dem Putschversuch vom August 1991 wurde die Partei verboten.
Verwendete Literatur:
„Kommunistische Partei der Sowjetunion“ in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 12, Kir-Lag, Mannheim 1990.
„Tschistka“ in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 22, Tep-Ur, Mannheim 1993.
Luigi Longo (1900-1980) – war von 1964 bis 1972 Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI). Er gehörte 1921 zu den Gründungsmitgliedern der PCI und dem Zentralkomitee ihrer Jugendorganisation an. Er arbeitete im antifaschisten Widerstand, floh aber 1927 ins Exil nach Paris. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Longo in Frankreich und Italien festgehalten. Dort versuchte er, Widerstand gegen die deutschen Besatzer zu organisieren. Er überließ den Parteivorsitz Palmiro Togliatti und übernahm diese Rolle erst nach dessen Tod 1964. Nach der Invasion der Warschauer-Pakt-Staaten in der Tschechoslowakei 1968 unterschrieb er den „grave dissenso“ [‚schwerwiegenden Dissens‘] mit der Entscheidung der Sowjetunion. Eine schwere Erkrankung Ende 1968 schränkte ihn stark ein und führte zu seiner Ablösung als Generalsekretär 1972. Er blieb kritisch gegenüber der Politik der KPdSU und verurteilte den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan 1979.
Verwendete Literatur:
Sircana, Giuseppe, „LONGO, Luigi“ in: Dizionario Biografico degli Italiani, Nr. 65, Roma 2005, zuletzt abgerufen am 6.8.2018.
Manifest der 2000 Worte – auch: „Zweitausend Worte, die an Arbeiter, Landwirte, Beamte, Künstler und alle gerichtet sind“ [Dva tisíce slov, které patří dělníkům, zemědělcům, úředníkům, umělcům a všem] war ein Manifest, das eine radikalere Fortsetzung der Reformbewegung forderte. Es sprach die Verbrechen offen an, die während des Stalinismus verübt worden waren und kritisierte die Kommunistische Partei (KSČ) für ihre zögerliche Haltung im Reformprozess. Verfasst wurde es auf Anregung von Mitarbeitern der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, u.a. Otto Wichterle, von dem Schriftsteller Ludvík Vaculík. Das Manifest erschien mit einer Liste von Erstunterzeichnern am 27. Juni 1968 nicht nur in der Zeitschrift Literární listy (Literarische Blätter), sondern auch in den Tageszeitungen Lidové noviny (Die Volkszeitung), Práce (Die Arbeit), Mladá fronta (Die Junge Front) und Zemědělské noviny (Landwirtschaftliche Zeitung) und löste vehemente Reaktionen in der Bevölkerung aus. Die KSČ lehnte es ab, auch weil die Reformer es als Gefahr für ihre Politik sahen. Die Gegner der Reform sahen das Manifest wiederum als konterrevolutionäres Dokument an. In den Augen der sowjetischen Führung offenbarte seine Veröffentlichung, dass die KSČ die Kontrolle über die öffentliche Meinung verloren hatte.
Verwendete Literatur:
Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt, Stuttgart 2018.
Münchner Abkommen – bezeichnet einen am 29./30. September 1938 zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Italien zur Lösung der sogenannten Sudetenkrise, d.h. des Konfliktes um die in der Tschechoslowakei lebenden Deutschen, geschlossenen Vertrag. Die Tschechoslowakei selbst war von dessen Verhandlung ausgeschlossen. Das Abkommen bestimmte, dass die Tschechoslowakei ihre Randgebiete, in denen 3,5 Millionen Deutsche lebten, an das Reich abzugeben hatte. Die deutsche Wehrmacht besetzte dieses Gebiet im Oktober 1938.
Verwendete Literatur:
„Münchner Abkommen“ in: Brockhaus Online.
Antonín Novotný (1904-1975) – war ein tschechoslowakischer kommunistischer Politiker, Generalsekretär der KSČ und von 1957 bis 1968 zugleich der Präsident der Tschechoslowakei. Er stammte aus einer Prager Arbeiterfamilie. 1921 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei. Von 1941 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war er im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung wurde er Mitglied des Zentralkomitees der KSČ und folgte Klement Gottwald 1953 im Amt des Ersten Sekretärs. In den 1960er Jahren wuchs die Kritik an seiner rigiden Politik und seiner Person. Am 5. Januar 1968 wurde er als Parteichef von Alexander Dubček abgelöst. Am 22. März musste er auch von seinem Präsidentenamt zurückzutreten. Sein Nachfolger war der General Ludvík Svoboda. Im Juni gab er unter Druck auch seine Position im Zentralkomitee der KSČ auf und zog sich aus dem politischen Leben zurück. Während der Normalisierung wurde seine Mitgliedschaft im Zentralkomitee zwar erneuert, Novotný erreichte aber keinen nennenswerten Einfluss mehr.
Verwendete Literatur:
Jan Rataj (Hrsg.), Československo v proměnách komunistického režimu [Die Tschechoslowakei im Wandel des kommunistischen Regimes]. Praha 2010.
Partito comunista italiano (PCI) [Italienische Kommunistische Partei] – war eine italienische politische Partei. Auf Bestreben von Antonio Gramsci entstand sie 1921 als Abspaltung von der Sozialistischen Partei (PSI) unter dem Namen Kommunistische Partei Italiens (PCD’I). Von 1927 bis 1943 gingen ihre Mitglieder in den Untergrund oder ins Exil. Palmiro Togliatti hatte die Leitung der Partei übernommen. Sie blieb als antifaschistische Kraft bestehen. Ab 1943 kehrten ihre Funktionäre zurück und etablierten die Partei unter dem Namen PCI. In den 1950er Jahren kam es zum erneuten Zerwürfnis mit der PSI über die Nähe zur Sowjetunion. So unterstützte die PCI den Einmarsch in Ungarn 1956. Nach Togliattis Tod 1964 übernahm Luigi Longo die Parteiführung. Unter ihm beteiligte sich die Partei an den Arbeiterkämpfen von 1968. Sie verurteilte den Einmarsch in der Tschechoslowakei 1968, löste sich aber erst in den 1980er Jahren von der KPdSU. In dieser Zeit verlor die PCI zunehmend Wähler und Mitglieder und löste sich 1991 auf.
Verwendete Literatur:
„Partito comunista italiano“ in: Dizionario di Storia, Roma 2011, zuletzt abgerufen am 06.08.2018.
Partito socialista italiano (PSI) [Italienische Sozialistische Partei] – war eine italienische politische Partei. Entstanden 1892 aus der revolutionären Arbeiterbewegung stieg die PSI nach dem Ersten Weltkrieg zur stärksten politischen Kraft in Italien auf. Innere Konflikte führten aber 1921 zur Abspaltung von der PCI. Nach dem Zweiten Weltkrieg vertiefte sich die Spaltung, speziell 1956 in Bezug auf das Verhältnis zur KPdSU. 1963 trat die PSI in eine Regierungskoalition der „centro-sinistra“ [„Mitte-links“] ein. Von 1966 bis 1968 bildete sie zusammen mit der sozialdemokratischen Partei die Vereinigte Sozialistische Partei (PSU). Die PSI war weiterhin an Regierungen beteiligt und stellte von 1983 bis 1987 den Ministerpräsidenten. Dessen Korruptionsskandal und anschließende finanzielle Schwierigkeiten führten zur Auflösung 1994. Seit 2009 gibt es wieder eine Partei in Italien, die den Namen PSI führt.
Verwendete Literatur:
„Partito socialista italiano“ in: Dizionario di Storia, Roma 2011, zuletzt abgerufen am 06.08.2018.
Palmiro Togliatti (1893-1964) – war von 1947 bis zu seinem Tod Generalsekretär der Italienischen Kommunistischen Partei (PCI). Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der PCI 1921 und 1922 deren Zentralkomitee an. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er zeitweise Teil der italienischen Regierung. Dabei schlug er einen reformkommunistischen Kurs ein und etablierte die PCI im demokratischen Spektrum Italiens. Er galt als uneingeschränkt loyal gegenüber der KPdSU, auch nach dem sowjetischen Einmarsch in Ungarn 1956. Togliatti sprach sich für einen „‚via italiana al socialismo‘“ [„italienischen Weg zum Sozialismus“] aus.
Verwendete Literatur:
„Togliatti, Palmiro“ in: Dizionario di Storia, Roma 2011, zuletzt abgerufen am 06.08.2018.
Ludvík Vaculík (1926-2015) – war ein tschechischer Journalist und Schriftsteller. Er studierte u.a. an der Hochschule für politische und soziale Wissenschaften in Prag. Nach seinem Abschluss war er bis 1951 als Erzieher tätig, bevor er 1953 Redakteur bei der Zeitung Rudé Pravo wurde. Von 1959 bis 1965 arbeitete er beim tschechoslowakischen Rundfunk. Es folgte eine Anstellung bei „Literární Noviny“ bzw. „Literární Listy“. Auf dem Schriftstellerkongress 1967 kritisierte er die KSČ öffentlich, woraufhin diese ihn ausschloss. Er unterstützte die Reformen des Prager Frühlings und wurde als Autor des „Manifests der 2000 Worte“ zu einer der zentralen Figuren der Bewegung. Es erfolgten ein weiterer Ausschluss aus der KSČ (zwischenzeitlich war er von Dubček rehabilitiert worden) und Berufsverbot. Auch nach der Invasion der Warschauer-Pakt-Staaten rückte er nicht von seiner Forderung nach Reformen ab. Vaculík war einer der Sprecher der Charta 77 und eine zentrale Figur des literarischen Untergrunds, wobei seine Werke nur im Samizdat und im Westen veröffentlicht wurden. Bis ins hohe Alter verfasste er politische Feuilletons für die Zeitung Lidové noviny.
Verwendete Literatur:
„Vaculík, Ludvík“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.
Warschauer Pakt – gegründet am 14. Mai 1955 unter der Bezeichnung „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ und auch Warschauer Vertragsorganisation genannt. Der Vertrag trat am 4. Juni 1955 in Kraft. In ihm sicherten ie kommunistischen Mitgliedsstaaten Albanien, Bulgarien, DDR, Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn einander gegenseitige militärische Unterstützung zu. Damit stellte der Warschauer Parkt eine Gegenallianz zur westlichen North Atlantic Treaty Organization (NATO) dar. Formaljuristisch waren alle Mitglieder gleichberechtigt, de facto hatte die Sowjetunion das militärische Oberkommando. Diese nutzte den Vertrag auch zur Stationierung von Truppen in den Mitgliedsstaaten, um die eigenen Interessen dort besser durchsetzen zu können. Der Warschauer Pakt bestand bis 1991.
Verwendete Literatur:
„Warschauer Pakt“ in: Brockhaus Online.
Ungarnaufstand – bezeichnet die am 23. Oktober 1956 begonnene Rebellion des ungarischen Volkes gegen die kommunistische Herrschaft. Sie hielt bis zum 10. November 1956 an. Die Anfänge der u.a. auch als „Ungarischer Volksaufstand“ bekannten Revolution reichten bis in das Jahr 1953, das Jahr des Todes Stalins, zurück. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Mátyás Rákosi, der in Ungarn seit 1949 eine stalinistische Diktatur errichtet hatte, musste das Amt des Ministerpräsidenten an den liberaler eingestellten Imre Nagy abgeben. Dieser führte eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Reformen durch, die den Lebensstandard in Ungarn erhöhten. Im Jahr 1955 unterlag Nagy im Machtkampf mit der stalinistischen Gruppe um Rákosi und wurde all seiner Ämter enthoben. Nachdem im Februar 1956 jedoch Chruščëvs Geheimrede bekannt wurde, in der er die stalinistischen Verbrechen kritisierte, wurden auch in Ungarn die Rufe nach einer Liberalisierung lauter. Zwar wurde Rákosi als Vorsitzender der Kommunistischen Partei abgesetzt, doch konnte dies die Unzufriedenheit im Land nicht mindern. Als Studenten auf einer genehmigten Demonstration am 23. Oktober 1956 in Budapest ihre Solidarität mit dem Arbeiteraufstand in Posen ausdrücken wollten, schlossen sich immer mehr Menschen an, um für Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und die Wiedereinsetzung Imre Nagys als Ministerpräsident zu demonstrieren. Am Abend standen 200 000 Menschen vor dem ungarischen Parlament und Imre Nagy wurde erneut zum Ministerpräsidenten berufen. In den folgenden Tagen griff der Aufstand auf das ganze Land übe. Der wiederernannte Ministerpräsident Imre Nagy bildete eine Mehrparteienregierung und erklärte die Neutralität Ungarns und den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Die Sowjetunion akzeptierte diese Entscheidung allerdings nicht. Am 1. November 1956 marschierte die Rote Armee in Ungarn ein und schlug den Aufstand nieder. In den folgenden drei Wochen kam es zu andauernden Kämpfen zwischen dem sowjetischen Militär und ungarischen Widerstandsgruppen. Mehr als 3000 Menschen starben bei den Kämpfen. Imre Nagy wurde am 22. November 1956 verhaftet und anderthalb Jahre später in Ungarn hingerichtet.
Verwendete Literatur:
Lachmann, Hannes, Die „Ungarische Revolution“ und der „Prager Frühling“. Eine Verflechtungsgeschichte zweier Reformbewegungen zwischen 1956 und 1968, Essen 2018.