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Am 17. Juni 1953 entwickelte sich der Streik der Berliner Bauarbeiter gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen zum Volksaufstand gegen die DDR-Führung. Autos wurden demoliert und angezündet, öffentliche Gebäude gestürmt. Die Demonstranten skandierten Parolen wie: „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“ (gemeint waren Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl). Der Aufstand brachte die herrschende SED-Führung an den Rand ihres Niedergangs und konnte nur mit Hilfe sowjetischer Panzer niedergeschlagen werden.
1968 erschien in der DDR indes als eher unauffälliges Jahr. Die seit 1961 geschlossenen Grenzen unterbanden die Massenflucht in den Westen und schufen bessere Bedingungen für die staatliche Planung. Die Wirtschaft hatte die Talsohle hinter sich gelassen und Walter Ulbricht befand sich auf dem Zenit seiner Macht. Unter diesen Umständen diskutierte die SED-Führung eine Reform der Steuerung der Planwirtschaft und eine neue sozialistische Verfassung. Weitreichende Veränderungen und Zugeständnisse konnten jedoch nicht erwartet werden. Bereits Artikel 1 der neuen Verfassung belegte, dass der Führungsanspruch der SED zementiert werden sollte. Gerade mit Blick auf die Studentenunruhen in der BRD und die Reformbemühungen in der ČSSR erschien eine Stärkung der Parteiherrschaft notwendig, um ähnliche Entwicklungen in der DDR verhindern zu können.
Gemessen an der BRD mögen die Ereignisse in der DDR zwar eher unscheinbar wirken, dennoch kann 1968 als Schlüsseljahr der Konfliktgeschichte der DDR angesehen werden.
Auch in der DDR gab es jugendliche und studentische Protestbewegungen. Trotz des rigorosen Vorgehens gegen die Beat-Kultur waren auch in der DDR langhaarige, sich von Staat und System abgrenzende Jugendgruppen zu beobachten. Sie übernahmen auch Symboliken der in der BRD aktiven Außerparlamentarischen Opposition APO, wie das Anti-Atom-Zeichen, aber auch Symbole des Maoismus.
Unter DDR-Bürgern wurde Prag gerade im Frühjahr und Sommer 1968 zu einem beliebten Reiseziel. Die Aufhebung der Pressezensur im März 1968, die zunehmende Liberalisierung in der Kultur, die diskutierten Wirtschaftsformen, wiederaufblühende Arbeiterselbstverwaltung und die unabhängige Presse übten einen besonderen Reiz auf die DDR-Jugend aus. So dichtete Wolf Biermann „In Prag ist Pariser Kommune. Sie lebt noch!“[1]. Hier konnten die heißbegehrten Schallplatten der Rolling Stones oder der Beatles gekauft werden, man konnte US-Filme in Originalfassung sehen und westliche Zeitungen und Zeitschriften lesen. Und es war dieser Hauch von Freiheit, den sie zu Hause schmerzlich vermissten, der bei vielen Menschen die Hoffnung auf Reformen im eigenen Land weckte.
Das blieb selbstverständlich auch der SED-Führung nicht verborgen. In gleichem Maße, wie viele DDR-Bürger sich wünschten, der Reformgeist möge auf die DDR übergreifen, befürchtete die Führung eine solche Entwicklung. Daher pochte sie mit äußerster Entschiedenheit darauf, den Reformprozess in der Tschechoslowakei zu unterbinden. Sie drang auf eine Intervention und unterstützte die militärische Vorbereitung und Logistik für den Einmarsch der Warschauer Pakt-Truppen, der allerdings ohne Beteiligung der Nationalen Volksarmee stattfand.
Der Prager Reformkommunismus hatte bei vielen DDR-Bürgern Hoffnungen auf Demokratisierung geweckt. Diese wurden durch die brutale Niederschlagung zerstört. Manche verliehen ihrer Wut und Scham über den Einmarsch, den die DDR-Führung forciert hatte, durch Protestschriften und Flugblättern Ausdruck (s. Abbildung 1-2).
Burens, Peter C., Die DDR und der „Prager Frühling“, Berlin 1981.
Dülffer, Jost, Europa im Ost-West-Konflikt 1945-1991, München 2004.
Ebbinghaus, Angelika, Die letzte Chance? 1968 in Osteuropa – Analysen und Berichte über ein Schlüsseljahr, Hamburg 2008.
Gehrke, Bernd, „Die 68er-Proteste in der DDR“, http://www.bpb.de/apuz/31327/die-68er-proteste-in-der-ddr?p=all, zuletzt aufgerufen am 08.09.2018.
Heuking, Kathrin, Der Prager Frühling und die deutsche Presse, Saarbrücken 2008.
Karner, Stefan, „In Prag ist Pariser Kommune“, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52184-544-1-30.pdf?180420141505, zuletzt aufgerufen am 30.05.2018.
Karner, Stefan, Natalja Tomilina & Alexander Tschubarjan (Hrsg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Köln 2008.
Kowalczuk, Ilko-Sascha, 1968 – ein ostdeutscher Erinnerungsort? Ereignisse, Reaktionen, Nachwirkungen, in: Florath, Bernd (Hg.), Annäherungen an Robert Havemann, Göttingen 2016, S. 351-406.
Pauer, Jan, Prag 1968: Der Einmarsch des Warschauer Paktes: Hintergründe – Planung – Durchführung, Bremen 1995.
Weber, Hermann, Die DDR 1945-1990, München 2006.
Wenzke, Rüdiger, Die NVA und der Prager Frühling 1968: Die Rolle Ulbrichts und der DDR-Streitkräfte bei der Niederschlagung der tschechoslowakischen Reformbewegung, Berlin 1995.
Wolle, Stefan, Der Traum von der Revolte – Die DDR 1968, Berlin 2008.
[1] Karner, Stefan, „In Prag ist Pariser Kommune“, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52184-544-1-30.pdf?180420141505, 111, zuletzt aufgerufen am 30.05.2018.
„Druschba – Druschba – Mir, Freunde seid willkommen ihr. Allen aggressiven Herrn leuchtet der Rote Stern. Jeder Panzer eine Faust, die in Bonner Pläne saust“[1]
Mit dieser Parole sollten die Bürger Dresdens die sowjetischen Soldaten begrüßen, die nach der Invasion in die Tschechoslowakei auf dem Rückweg waren. Die Feier der Soldaten als ruhmreiche Helden, die dem sozialistischen Bruderland zur Hilfe geeilt waren, war Teil der ideologischen Offensive, die die SED-Führung seit Beginn des Jahres 1968 gegen die Prager Reformbewegung führte. Diese lief nicht nur in Funk und Fernsehen (z.B. der „Schwarze Kanal“), sondern auch in den Zeitungen.
Wie alle Medien war auch die Presse in der DDR staatlich reguliert. Sämtliche Zeitungen unterstanden der Lizenzierung und Kontrolle durch das Presseamt beim Vorsitzenden des Ministerrats. Die SED-Führung war bei der Themenauswahl federführend und bestimmte generell die redaktionelle Linie. Für die hier präsentierte Analyse der Berichterstattung der DDR-Presse über den Prager Frühling wurden das Neue Deutschland und die Neue Zeit ausgewertet. Beim ND handelte es sich um die Tageszeitung der SED. Als Sprachrohr der SED-Führungsspitze bietet sie wertvolle Einblicke in die Programmatik der DDR-Führung und ihre mediale Vermittlung. Die NZ war indessen die Zeitung der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (auch „Ost-CDU“ genannt) und zählte, neben dem ND, zu den auflagenstärksten Zeitungen der DDR. Offiziell gab es zwar keine institutionalisierte Pressezensur in der DDR, allerdings unterstanden beide Zeitungen den Richtlinien und „Empfehlungen“ der Abteilung Agitation des SED-Zentralkomitees[2].
Am 5. Januar 1968 wurde der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Antonín Novotný seines Amtes enthoben und Alexander Dubček zu seinem Nachfolger ernannt. Das ND stellte ihn den Lesern als Sohn einer „klassenbewußten Arbeiterfamilie“ vor. Besonders hob es hervor, dass er „als 18-jähriger der illegalen KPČ bei[getreten ist]“ und während des Zweiten Weltkriegs in „der antifaschistischen Widerstandsbewegung“ als Partisanenkämpfer mehrmals verwundet wurde. Der Artikel endete mit einem Lob für seine „aufopferungsvolle Tätigkeit zum Wohl der Republik“[3] und der Aufzählung, der Orden, mit denen Dubček in der Vergangenheit ausgezeichnet worden war. Hinweise auf Dubčeks politische Ansichten oder Pläne suchte man in der Berichterstattung von ND und NZ ebenso vergeblich wie eine Begründung für den Rücktritt Novotnýs[4]. Über diesen Schritt hatte das ND schon am Tag zuvor geschrieben ohne Details, aber mit der Botschaft, dass er Kontinuität bedeute. Reichlich vage war von einer „Politik mit dem Ziel der Schaffung einer zutiefst demokratischen und entfalteten sozialistischen Gesellschaft, in Übereinstimmung mit dem fortschreitenden Prozeß der Demokratisierung auf staatlich-politischem Gebiet“ die Rede[5].
Die DDR-Presse tat alles, um Erwartungen zu zerstreuen, dass mit der Ernennung Dubčeks zum Ersten Sekretär der KSČ Veränderungen in den Beziehungen zwischen der ČSSR und der Bundesrepublik und in der Folge auch mit der DDR einhergehen würden. In der tschechoslowakischen Außenpolitik herrschten „unveränderliche Prinzipien“, Spekulanten, womit vor allem westdeutsche Politiker gemeint waren, hätten keinen Grund für Hoffnungen[6]. Die Verbundenheit mit der DDR „ist ein ebenso fester und unverbrüchlicher Bestandteil unserer Anschauungen in der Weltpolitik wie auf der anderen Seite unsere Stellung gegenüber dem heutigen Westdeutschland“[7], zitierte die NZ die tschechoslowakische Parteizeitung Rudé Právo. NZ wie ND stellten Dubček als Mann vor, der für Kontinuität stand. Nichts deutete in der DDR-Presse auf einen Bruch mit der politischen Gesamtlinie Novotnýs hin, es war lediglich von Wirtschaftsreformen im Nachbarland die Rede. Sonst werde sich in der Tschechoslowakei nichts verändern, auch nicht die Entschiedenheit, gemeinsam mit der DDR die Bedrohung abzuwehren, die unverändert von der BRD ausgehe.
Während die bundesdeutschen Medien intensiv über die Entwicklungen in der ČSSR berichteten, schwieg die DDR-Presse bis Mitte März. Allerdings drang die westdeutsche Berichterstattung auch über die innerdeutsche Grenze und zwang die DDR zu einer Änderung ihrer Informationspolitik, es war offensichtlich, dass die Strategie der Abschottung nicht funktionierte. Um den Westmedien das Feld nicht komplett zu überlassen, konnte die DDR-Presse die Prager Entwicklungen nicht länger übergehen.
Anfang März meldete der DDR-Botschafter in Prag, Peter Florin, an die Parteiführung: „Die Aktivität der oppositionellen Kräfte hat sich in den letzten Tagen verstärkt und erhält zunehmend offen konterrevolutionäre Züge“[8]. Mit dem Begriff „Konterrevolution“ hatte er schweres Geschütz aufgefahren, es kam einer Handlungsweisung gleich[9]: Die Prager Reformbemühungen, so der DDR-Botschafter, müssten gestoppt werden. Nun wandelte sich die Strategie des ND. Statt die Liberalisierung, über die bundesdeutschen Zeitungen intensiv berichteten[10], nur weiter zu verschweigen, wurde der Fokus auf die Verbindung mit der Tschechoslowakei und den gemeinsamen Gegner BRD verschoben. Es erschienen Schlagzeilen wie „Dubček: ČSSR fest an der Seite der DDR“, „Walter Ulbricht: ČSSR und DDR treue Kampfgefährten“ bzw. „Manifestation in Prag: Einig im Geiste des Februar 1948“[11]. Erst im März, in einem Bericht über die „Jahreskonferenzen in der KPČ, ging das ND auf die Reformpläne der Prager Führung ein. Es nannte das Aktionsprogramm der KSČ, stellte es aber in dürren Worten als Weiterführung des Bekannten ohne auf seine konkreten Themen und Forderungen einzugehen:
„Es geht um die Schaffung eines Aktionsprogramms der Partei zur Lösung von Grundfragen der Wirtschaft und des gesellschaftlichen Lebens bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der ČSSR unter den Bedingungen der technisch-wissenschaftlichen Revolution und um die Notwendigkeit, die führende Rolle der Partei durch erhöhte politische Aktivität zu verwirklichen.“[12]
Doch schwieg das ND nicht nur über den Inhalt des Aktionsprogramms, es schwieg auch über die Schritte, die nach dessen Verabschiedung erfolgten. Allerdings lässt sich im März in der Berichterstattung ein weiterer Stilwechsel beobachten – nun wurden Konflikte angesprochen, wenn auch kleingeredet. So ging das ND auf innerparteiliche „Diskussionen über sozialistische Demokratie“ ein. Zugleich erbot es „Vorbehalte zu der Art und Weise des Auftretens einzelner Personen in Presse, Rundfunk und Fernsehen“ und äußerte „Besorgnis über gewisse Vorgänge an der ideologischen Front“[13]. Zwar konnte die Zeitung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leugnen, dass es in der KSČ Politiker gab, die eine Reform des Sozialismus anstrebten, doch sollte unterstrichen werden, dass die Partei nach wie vor eine klassischen sozialistischen Maximen entsprechende Linie verfolgte. Auch war es das Ziel, der Leserschaft zu vermitteln, dass es sich bei den Reformbefürwortern um eine kleine Splittergruppe handelte, also nur einige wenige Parteimitglieder vom richtigen Kurs abgekommen seien. Zudem wurde die Partei für die Abweichungen verantwortlich gemacht, ihre Ursache sah Ulbricht in der „neuen Ostpolitik“ der BRD, die er mit Versuchen „imperialistischer Kreise“ identifizierte, „sich in die gegenwärtige Diskussion in der ČSSR von außen einzumischen“[14].
Im Mai und Juni verstärkte die DDR-Presse die Angriffe auf einzelne Repräsentanten des Reformsozialismus, so z.B. gegen Jan Procházka und einige seiner Schriftstellerkollegen[15]. Als am 27. Juni das „Manifest der 2000 Worte“ erschien, ließ sich die Behauptung der DDR-Presse, bei den Reformkräften handele es sich um eine isolierte, nicht repräsentative Kraft in der Partei und der Bevölkerung, nicht länger halten. Im Juli gingen die Zeitungen daher von der Diffamierung einzelner Persönlichkeiten zu einer großangelegten, auf die „imperialistischen Machenschaften“ der BRD zielenden Propaganda über. Auffällig war jedoch, dass sich die Kritik nicht auf Parteimitglieder wie Dubček richtete, sondern vorerst ausschließlich gegen Schriftsteller und Intellektuelle.
So berichtete das ND, der Bonner Einfluss auf die Entwicklung in der Tschechoslowakei äußere sich nicht nur im westdeutschen Militärmanöver „Schwarzer Löwe“, sondern auch darin, dass die Zahl wechselseitiger Besuche von Politikern und Persönlichkeiten der ČSSR und BRD zunehme[16].
Die Ernennung des „Hitlerspezialist[en] als Manöverplaner“ – gemeint war Karl Wilhelm Thilo, ehemaliger Generalstabsoffizier der Wehrmacht – sowie die nahe der Grenze zur ČSSR durchgeführte Militärübung „Schwarzer Löwe“, wurden in der DDR-Presse als „neue Ostpolitik auf alten Wegen“[17] und als Wiederbelebung des Münchner Abkommens von 1938 gedeutet. Diese warf der Bonner Regierung vor, ihre „Revancheziele mit Friedens- und Entspannungsbeteuerungen zu tarnen“[18] und eine „stille Annexion und Konterrevolution“[19] zu verfolgen.
Noch eine weitere Veränderung lässt sich im Juli nachvollziehen: Nun wurden die Verhältnisse in der ČSSR, vor allem aber an die tschechoslowakische Berichterstattung – offen kritisiert: „Sind das ruhige und normale Verhältnisse?“ fragte das ND am 27.07. und tadelte neben Zeitungen und Rundfunk „besonders das Fernsehen der ČSSR“. Allen Medien wurde vorgeworfen, „Tag für Tag ihre Polemik gegen sozialistische Bruderländer, vor allem die Sowjetunion und die DDR“ zu führen[20]. Als Anzeichen dafür, dass die Medien dem Sozialismus abtrünnig geworden seien, wurde das Verschwinden der Kritik am westdeutschen „Imperialismus“ ausgemacht. Die Pressefreiheit in der ČSSR werde sorglos genutzt und diene ausschließlich der Diffamierung und Schmähung der KSČ[21]. Damit spiegelten die Zeitungen in der DDR die Sichtweise der SED-Führung wider: Die ČSSR erschien als ein Land, in dem die Presse unter imperialistischen Einfluss geraten war und die regierende Partei sie offenbar nicht mehr im Griff hatte. Folglich musste der unter Kontrollverlust leidenden tschechoslowakischen Parteiführung Einhalt geboten werden.
Am Tag vor dem Einmarsch der Warschauer Pakt Truppen in die Tschechoslowakei wurde im ND noch vor der „Verstärkung der Wühlarbeit der antisozialistischen Kräfte gegen die KSČ und die Grundlagen der sozialistischen Ordnung“ gewarnt[22]. Die Forderung war klar: „Die Beschlüsse von Čierna nad Tisou und Bratislava müssen durchgeführt werden“. „Frech gewordene Reaktionen“ und „grobe Ausfälle gegen die Beschlüsse […], die bei dem Treffen in Čierna nad Tisou und auf der Beratung in Bratislava angenommen wurden“[23], schrieb das ND, ließen keinen Zweifel mehr daran, dass „unverzüglich jegliche Hilfe, einschließlich militärische Hilfe“[24] geleistet werden müsse. Hatte die Presse in den vorangegangenen Monaten die Ursachen der „konterrevolutionären“ Machenschaften vor allem im Ausland bzw. unter Schriftstellern und bei einzelnen Politikern gesucht, griff sie Dubček nun auch offen an:
„Leider hat eine Gruppe im Präsidium des Zentralkomitees der KPČ mit A. Dubček an der Spitze die Durchführungen der eingegangenen Vereinbarungen nicht nur nicht in Angriff genommen, sondern hat nach Bratislava ihren Rechtskurs verstärkt.“[25]
In der sowjetischen Intervention sah das ND die „Sicherung der sozialistischen Ordnung in der ČSSR und des Friedens in Europa“[26]. Gleichzeitig triumphierte sie über die „schwere Niederlage […] für den westdeutschen Imperialismus“. Die neue Ostpolitik liege „in Scherben“. Damit sei auch die Gefahr gebannt, die von den Kräften ausgegangen sei, die in der ČSSR „die Herrschaft des Imperialismus wiedererrichten“ wollen[27]. Mit der „Hilfe zur rechten Zeit“ sei der „Gruppe um Dubček“, die „die sozialistische Völkergemeinschaft so hart getäuscht“ habe, endlich das Handwerk gelegt. Laut NZ ein „guter Dienst für Frieden und Sicherheit“[28] und auch das ND jubelte: „Mit aller Deutlichkeit: Wir haben den Krieg verhindert“[29]. Darüber dürfe aber nicht die Gefahr vergessen werden, die von der neuen Ostpolitik ausging. Ihre Vertreter versuchten die Politiker in den sozialistischen Ländern zu täuschen, ähnlich wie „im Märchen der Wolf […] das Rotkäppchen betören möchte“[30].
Bemerkenswert ist, dass die DDR-Führung die Erfüllung ihrer verstandenen Aufklärungspflicht nicht auf die Öffentlichkeit im eigenen Land beschränkte. Am Tag der sowjetischen Intervention in Prag wurde der geheime Propagandasender der SED „Radio Vltava“ (Radio Moldau) in Betrieb genommen. Er befand sich auf dem Gebiet der DDR und strahlte Sendungen aus, in denen Verschwörungstheorien präsentiert, die tschechoslowakischen Medien angegriffen und prominente Reformer verunglimpft wurden[31]. Der Versuch, Radio Vltava als tschechoslowakischen Untergrundsender zu tarnen, scheiterte jedoch nicht nur an seinem ideologisch eindeutigen Inhalt, sondern auch am Akzent der deutschen Sprecher.
Bollinger, Stefan, Die DDR kann nicht über Stalins Schatten springen – Reformen im Kalten Krieg – SED zwischen NÖS und Prager Frühling, Berlin 1993.
Burens, Peter C., Die DDR und der „Prager Frühling“, Berlin 1981.
Glaab, Manuela, „Medien“ in: Werner Weidenfels & Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Einheit 1949 – 1989 – 1999, Bonn 1999, 559-571.
Heuking, Kathrin, Der Prager Frühling und die deutsche Presse, Saarbrücken 2008.
Holzweißig, Gunter: Massenmedien in der DDR, Berlin 1989, 9-31.
Pauer, Jan, Prag 1968: Der Einmarsch des Warschauer Paktes; Hintergründe – Planung – Durchführung, Bremen 1995.
Prieß, Lutz, Die SED und der „Prager Frühling“ 1968 – Politik gegen einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, Berlin 1996.
Wenzke, Rüdiger, Die NVA und der Prager Frühling 1968: Die Rolle Ulbrichts und der DDR-Streitkräfte bei der Niederschlagung der tschechoslowakischen Reformbewegung, Berlin 1995.
Wilke, Manfred, „Die DDR in der Interventionskoalition gegen den ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘“ in: Stefan Karner, Natalja Tomilina & Alexander Tschubarjan (Hrsg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Köln 2008, 421-447.
Neues Deutschland
Neue Zeit
[1] „Blumenregen herzlicher Freundschaft für die Retter des Friedens“ in: Sächsische Zeitung, 11.11.1968, 3.
[2] Vgl. Glaab, Manuela, „Medien“ in: Werner Weidenfels & Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Handbuch zur deutschen Einheit 1949 – 1989 – 1999, Bonn 1999, 559-571. Bzw. Holzweißig, Gunter: Massenmedien in der DDR, Berlin 1989, 9-31.
[3] „Alexander Dubček, Erster Sekretär des Zentralkomitees der KPČ“ in: Neues Deutschland, 07.01.1968, 7.
[4] Ebd. Bzw. „Alexander Dubček“ in: Neue Zeit, 09.01.1968, 3.
[5] „Kommuniqué über die Tagung des ZK der KPČ“ in: Neues Deutschland, 06.01.1968, 4. Bzw. „Kommuniqué aus Prag“ in: Neue Zeit, 07.01.1968, 2.
[6] „Warnung vor neuer brauner Gefahr“ in: Neues Deutschland, 13.01.1968, 6. Bzw. „Fehlspekulationen“ in: Neue Zeit, 12.01.1968, 3.
[7] „Verfehlte Spekulationen“ in: Neue Zeit, 11.01.1968, 1.
[8] Vgl. Wilke, Manfred, „Die DDR in der Interventionskoalition gegen den ‚Sozialismus mit menschlichem Antlitz‘“ in: Stefan Karner, Natalja Tomilina & Alexander Tschubarjan (Hrsg.), Prager Frühling. Das internationale Krisenjahr 1968, Köln 2008, 423f.
[9] Vgl. Ebd., 424.
[10] „Pressezensur in der ČSSR weitgehend aufgehoben“ in: Süddeutsche Zeitung, 29.02.1968, 6.
[11] „Dubček: ČSSR fest an der Seite der DDR“ in: Neues Deutschland, 03.02.1968, 1. Bzw. „Walter Ulbricht: ČSSR und DDR treue Kampfgefährten“ in: Neues Deutschland, 23.02.1968, 1. Bzw. „Manifestation in Prag: Einig im Geiste des Februar 1948“ in: Neues Deutschland, 24.02.1968, 1.
[12] „Jahreskonferenzen in der KPČ“ in: Neues Deutschland, 12.03.1968, 7.
[13] „Offene Diskussion auf Jahreskonferenzen der KPČ“ in: Neues Deutschland, 13.03.1968, 7. Bzw. „Programm wird diskutiert“ in: Neue Zeit, 14.03.1968, 2.
[14] „Jahreskonferenzen in der KPČ“ in: Neues Deutschland, 12.03.1968, 7.
[15] „Prüfet die Rechnung – Ein Wort an einige Schriftsteller in der ČSSR“ in: Neues Deutschland, 12.05.1968, 5.
[16] „Zur Taktik der Konterrevolution“ in: Neues Deutschland, 01.08.1968, 2.
[17] „Ein Ideologe der „neuen Ostpolitik“ auf alten Wegen“ in: Neues Deutschland, 01.08.1968, 4.
[18] „Bonn kultiviert faschistische „Lebensraum“-Ideologie“ in: Neues Deutschland 01.08.1968, 6.
[19] „Ein Ideologe der „neuen Ostpolitik“ auf alten Wegen“ in: Neues Deutschland 01.08.1968, 4.
[20] „Sind das ruhige und normale Verhältnisse?“ in: Neues Deutschland, 27.07.1968, 2.
[21] Ebd.
[22] „Die Beschlüsse von Čierna nad Tisou und Bratislava müssen durchgeführt werden“ in: Neues Deutschland, 20.08.1968, 2.
[23] Ebd.
[24] „Mitteilung von TASS“ in: Neues Deutschland, 21.08.1968, 1.
[25] „An alle Bürgerinnen und Bürger der Deutschen Demokratischen Republik“ in: Neues Deutschland, 21.08.1968, 1.
[26] „Unsere Armeen sichern den Frieden“ in: Neues Deutschland, 23.08.1968, 1-2.
[27] Ebd.
[28] „Hilfe zur rechten Zeit“ in: Neue Zeit, 23.08. 1968, 1-2.
[29] „Unser Erfolg – ihre Niederlage“ in: Neues Deutschland, 24.08.1968, 1-2.
[30] „Hilfe zur rechten Zeit“ in: Neue Zeit, 23.08. 1968, 1-2.
[31] Röck, Claus-Dieter, Invasion durch den Äther – Die Rundfunkpropaganda der DDR gegen die politische Reformbewegung in der ČSSR von 1968, Leipzig, 246f.
Roman Giesemann
Čierna nad Tisou – ist eine slowakische Kleinstadt im Dreiländereck zwischen der Slowakei, der Ukraine und Ungarn. Vom 29. Juli bis zum 1. August 1968 fanden in der Grenzstadt zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion bilaterale Verhandlungen zwischen Vertretern des sowjetischen Politbüros und der tschechoslowakischen Regierung statt. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem Leonid Brežnev, Alexej Kossygin, Nikolaj Podgorny, Alexander Dubček und Ludvík Svoboda. Für die Sowjetunion waren die Verhandlungen der letzte Versuch, dem Prager Frühling und Dubčeks Reformkurs ohne Anwendung von Gewalt Einhalt zu gebieten. Den beiden Seiten gelang, in Čierna nad Tisou zumindest eine kurzfristige Einigung zu erreichen, die wenig später in Bratislava ratifiziert wurde.
Verwendete Literatur:
Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt. Stuttgart 2018, 271-280.
Alexander Dubček (1921-1992) – war ein tschechoslowakischer Politiker und eine der zentralen Figuren des Prager Frühlings. Dubček wuchs größtenteils in der UdSSR auf, wo sein Vater im Rahmen der „Internationalen Arbeiterhilfe“ als Tischler tätig war. In den 1930er Jahre machte er eine Ausbildung zum Schlosser. 1939 trat er der illegal gegründeten Kommunistischen Partei der Slowakei (Komunistická strana slovenska – KSS) bei und war im antifaschistischen Widerstand tätig. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann sein Aufstieg innerhalb der KSČ. 1958 vollendete er sein Studium an der Parteihochschule des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU in Moskau mit Auszeichnung. Danach studierte er an der juristischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava und beschloss sein Studium mit einer sozialwissenschaftlichen Dissertation.
Am 6. Januar 1968 wurde er zum neuen Ersten Sekretär des ZK der KSČ gewählt und avancierte in der ersten Hälfte des Jahres 1968 zur Symbolfigur des Prager Frühlings. Nach dessen Niederschlagung wurde er nach Moskau verschleppt und gezwungen das "Moskauer Protokoll", das alle Reformprozess in der ČSSR beenden sollte, zu unterschreiben.
Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter distanzierte er sich nie von seinem Engagement für den Reformsozialismus. Aus der KSČ wurde er ausgeschlossen. Daraufhin war er als Aufsicht im Fuhrpark eines Forstbetriebs in Bratislava tätig, wo er bis zu seiner Pensionierung 1986 arbeitete.
Dubček unterstützte 1989 die Protestbewegung und den demokratischen Umbruch. Dass danach keine zentrale Rolle mehr spielte, lag auch daran, dass seine Person in den Augen vieler Menschen zu stark mit dem Kommunismus verknüpft war. Dennoch wurde er Parlamentspräsident, trat allerdings im Juli 1991 zurück, da er die slowakischen Abspaltungsbestrebungen nicht unterstützte.
Dubček starb am 7. Oktober 1992 an den Folgen eines Autounfalls.
Verwendete Literatur:
„Dubček, Alexander“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.
Manifest der 2000 Worte – auch: „Zweitausend Worte, die an Arbeiter, Landwirte, Beamte, Künstler und alle gerichtet sind“ [Dva tisíce slov, které patří dělníkům, zemědělcům, úředníkům, umělcům a všem] war ein Manifest, das eine radikalere Fortsetzung der Reformbewegung forderte. Es sprach die Verbrechen offen an, die während des Stalinismus verübt worden waren und kritisierte die Kommunistische Partei (KSČ) für ihre zögerliche Haltung im Reformprozess. Verfasst wurde es auf Anregung von Mitarbeitern der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, u.a. Otto Wichterle, von dem Schriftsteller Ludvík Vaculík. Das Manifest erschien mit einer Liste von Erstunterzeichnern am 27. Juni 1968 nicht nur in der Zeitschrift Literární listy (Literarische Blätter), sondern auch in den Tageszeitungen Lidové noviny (Die Volkszeitung), Práce (Die Arbeit), Mladá fronta (Die Junge Front) und Zemědělské noviny (Landwirtschaftliche Zeitung) und löste vehemente Reaktionen in der Bevölkerung aus. Die KSČ lehnte es ab, auch weil die Reformer es als Gefahr für ihre Politik sahen. Die Gegner der Reform sahen das Manifest wiederum als konterrevolutionäres Dokument an. In den Augen der sowjetischen Führung offenbarte seine Veröffentlichung, dass die KSČ die Kontrolle über die öffentliche Meinung verloren hatte.
Verwendete Literatur:
Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt, Stuttgart 2018.
Antonín Novotný (1904-1975) – war ein tschechoslowakischer kommunistischer Politiker, Generalsekretär der KSČ und von 1957 bis 1968 zugleich der Präsident der Tschechoslowakei. Er stammte aus einer Prager Arbeiterfamilie. 1921 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei. Von 1941 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war er im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung wurde er Mitglied des Zentralkomitees der KSČ und folgte Klement Gottwald 1953 im Amt des Ersten Sekretärs. In den 1960er Jahren wuchs die Kritik an seiner rigiden Politik und seiner Person. Am 5. Januar 1968 wurde er als Parteichef von Alexander Dubček abgelöst. Am 22. März musste er auch von seinem Präsidentenamt zurückzutreten. Sein Nachfolger war der General Ludvík Svoboda. Im Juni gab er unter Druck auch seine Position im Zentralkomitee der KSČ auf und zog sich aus dem politischen Leben zurück. Während der Normalisierung wurde seine Mitgliedschaft im Zentralkomitee zwar erneuert, Novotný erreichte aber keinen nennenswerten Einfluss mehr.
Verwendete Literatur:
Jan Rataj (Hrsg.), Československo v proměnách komunistického režimu [Die Tschechoslowakei im Wandel des kommunistischen Regimes]. Praha 2010.
Jan Procházka (1929-1971) – war ein tschechischer Schriftsteller und eine der bekanntesten Intellektuellen des Prager Frühlings. In der Nachkriegszeit engagierte er sich für den Aufbau des Sozialismus: Er arbeitete im Zentralkomitee der Sozialistischen Staatsjugend und schrieb nebenbei Literatur und Drehbücher. Ab 1958 widmete er sich nur noch dem Schreiben. Auf dem Schriftstellerkongress 1967 bekannte er sich öffentlich zu den Reformbewegungen des Prager Frühlings und setzte sich für mehr künstlerische Freiheiten ein, woraufhin er 1969 aus der Partei ausgeschlossen wurde. Er starb im Februar 1971 an einem Krebsleiden.
Verwendete Literatur:
„Prochazka, Jan“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.