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Alfred Rosenberg – der Ideologe der NS-Bewegung

Alfred Rosenberg ist heute vor allem durch seine Position als „Chefideologe“[1] des NS-Regimes bekannt sowie seine Posten als Schriftleiter des Völkischen Beobachters und später als zuständiger Reichsminister für die eroberten Ostgebiete. So beginnt die Auseinandersetzung mit seinem Leben oft erst mit seiner Teilnahme am sogenannten Hitlerputsch 1923 und seiner beginnenden ideologisch-publizistischen Tätigkeit. Weniger bekannt ist, dass er seine Kindheit und Jugend in Osteuropa verbrachte und in Moskau Zeuge der Revolution von 1917 wurde, vor der er schließlich nach München floh. Dort wurde er zu einer zentralen Figur der NSDAP, die er ideologisch prägte. Ein Kernbestandteil seiner Ideologie war die Propaganda gegen den „jüdischen Bolschewismus“, den er als Ursache für die Revolution in Russland sah und dessen Ausbreitung verhindert werden müsse. Anhand der Biographie Alfred Rosenbergs werden die Zusammenhänge zwischen den Ereignissen in Russland 1917 und denen im München der beginnenden 1920er Jahre deutlich. Wie genau diese Verbindung zustande kommt und sich gestaltet, soll im Folgenden untersucht werden.

 

Idealisierte Heimat und die Krise des Ersten Weltkriegs

Alfred Rosenberg wird am 31. Dezember 1892 in Reval geboren, dem heutigen Tallinn. Reval ist damals, obgleich zum Russischen Reich gehörend, eine stark von der deutschbaltischen Bevölkerung geprägte Stadt. Auch Rosenbergs schulisches und privates Umfeld ist überwiegend deutsch. Der Vater ist ein erfolgreicher Kaufmann, was der Familie ein gut situiertes Leben ermöglicht. Rosenberg verliert beide Eltern sehr früh, weshalb er von den Schwestern seines Vaters, Cilla und Lydia, großgezogen wird. In seinen Memoiren, die er während seiner Inhaftierung 1945 verfasst, schildert er seine Zeit in der „Heimat“ Reval als idyllisches Leben.[2] Hinweise auf ethnische Konflikte finden sich hier nicht, er beschreibt im Gegenteil, wie er beispielsweise bei der Lektüre germanischer und russischer Mythologie auf Gemeinsamkeiten zwischen beiden stößt.[3] Allerdings muss in Betracht gezogen werden, dass es sich bei den Aufzeichnungen um Memoiren handelt, die Rosenberg 1945 in Erwartung der Nürnberger Prozesse in Haft verfasste. Das bedeutet zum einen, dass diese Erinnerungen selektiv sind und von folgenden Ereignissen überlagert sein können oder nachträglich bewusst oder unbewusst der Konstruktion eines Narrativs vom eigenen Leben dienen sollen. Zum anderen war Rosenberg bewusst, dass seine Aufzeichnungen auf großes Interesse der Alliierten bzw. der Chefankläger stoßen würden. Es ist also nicht auszuschließen, dass die Aufzeichnungen eine apologetische Funktion erfüllen sollten, um womöglich eine Strafmilderung zu erreichen beziehungsweise kein zusätzlich belastendes Material zu schaffen.

Bereits während seiner Schulzeit beschäftigt sich Rosenberg viel mit Zeichnen und beginnt schließlich ein Architekturstudium am Polytechnikum in Riga. Dort schließt er sich dem baltendeutschen Studentenkorps Rubonia an. Dieses Korps vereinigt Studenten verschiedener sozialer Schichten und Rosenberg schildert die Rubonia als „weit weltoffener, weniger konventionell“[4] als andere Korps. In der Rubonia findet Rosenberg eine Gemeinschaft, die lange nach seinem Studium fortbestehen und die später in München eine zentrale Rolle beim ideologischen Aufbau der NSDAP spielen sollte.

Die Beerdigung seines Onkels führt Rosenberg während seines Studiums nach Bad Wörishofen in der Nähe von München.[5] Von diesem Aufenthalt und einem Besuch in München währenddessen bleiben ihm in seinen Memoiren vor allem Kultur und Landschaft der Region in Erinnerung, was er im Nachhinein als den Grundstein für seine spätere Entscheidung bewertet, „München als zweite Heimat zu wählen“.[6] Mit der Zeit entwickelt Rosenberg den Wunsch, sein Studium in Deutschland fortzusetzen, da ihm das Leben in Riga zunehmend beengt erscheint. Jedoch lässt er sich von einem anderen Mitglied der Rubonia überzeugen, aus Loyalität dem Korps gegenüber zu bleiben.[7]

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bedeutet auch für Rosenberg einen Einschnitt. Zwar kann er sein Studium fortsetzen, doch gerät die deutschbaltische Bevölkerung im Zuge des zunehmenden Nationalismus und politischer Unruhen im Russischen Reich unter Druck: Rosenberg beklagt eine Russifizierung und Unterdrückung deutschbaltischer Interessen bis hin zu antideutscher Propaganda in den Medien.[8] Verstärkt wird die Krise seiner Ansicht nach durch die gesellschaftlichen Umbrüche und politischen Spannungen:

„Die Balten fühlten sich, in etwas mittelalterlicher Form, als auf das Oberhaupt des Staates vereidigte Vasallen. Ihre Treue war durchaus persönlich gebunden, ohne Verpflichtung auf das, was alles im russischen Volkskörper gärte und sich zur Geltung bringen wollte. Deshalb hat sich das Baltentum politisch nicht gegen das Zarentum gewandt und sich von aktiv revolutionären Bewegungen ferngehalten.“[9]

Als im Herbst 1915 das Polytechnikum nach Moskau verlagert wird, nimmt Rosenberg diesen Umzug als Verlust seiner Heimat wahr.[10]

 

Die Theorie vom „jüdischen Bolschewismus“

In Moskau erlebt Rosenberg die Russische Revolution von 1917. Es ist auffällig, dass er sich in seinen Memoiren nur spärlich dazu äußert. Seine sonst langen historischen Abhandlungen zu Traditionen und Erbe der Deutschbalten, ausführlichen Schilderungen von kulturellen Erlebnissen und teils auch verklärenden Darstellungen seiner Heimat stehen in starkem Kontrast zu der nüchternen Schilderung der Revolution, die kaum über die Darstellung äußerer Umstände hinausgeht.[11] Rosenbergs persönliches Erleben dieser Zeit findet bis auf wenige Ausnahmen – z.B. seine Enttäuschung über Tolstoj, dessen politischen Meinungswandel von Kritik an der Revolution hin zu umfassender, religiös fundierter Sozial- und Autoritätskritik Rosenberg nicht nachvollziehen kann, und die Ablehnung der oppositionellen Presse – kaum Erwähnung.[12] Vor allem finden sich in seinen Memoiren keine Hinweise darauf, wie Rosenberg zu dem Schluss gelangt, der „jüdische Bolschewismus“ sei ursächlich für die Revolution gewesen, denn zuvor wird die jüdische Bevölkerung in den Memoiren nicht erwähnt.[13]

Einen Hinweis liefern hingegen seine zu jener Zeit verfassten publizistischen Texte, in denen Rosenberg Juden für die Revolution und ihre Folgen verantwortlich macht.[14] Er begründet diesen Vorwurf mit pseudowissenschaftlich belegten „rassischen“ Eigenheiten der jüdischen Bevölkerung und mit der Tatsache, dass führende Köpfe der Revolution und die Mehrheit der Bolschewiki Juden seien.[15] Es bleibt der Eindruck, dass das Gefühl des Heimatverlustes, bedingt vor allem durch die politische Instabilität zusammen mit dem zunehmenden Nationalismus bzw. antideutscher Stimmungslage, Rosenberg zu einem Gegner der Revolution machen und nicht weltanschauliche Aspekte. Der in der deutschbaltischen Gesellschaft bereits existierende Antisemitismus erhält durch die Revolution und die Suche nach Schuldigen eine neue Dynamik.

Die Warnung vor dem „jüdischen Bolschewismus“, der die Weltherrschaft an sich zu reißen versuche, wird zum Kern von Rosenbergs antisemitischer Ideologie, sein Narrativ einer jüdisch gesteuerten Revolution wiederholt sich (mit immer gleichen, nur in Details variierenden Argumenten) in zahlreichen Schriften.[16]

Nach einem kurzen Aufenthalt auf der Krim kehrt Rosenberg 1918 nach Reval zurück, das nun von der Deutschen Armee besetzt ist. Sein Gesuch, als Freiwilliger ins deutsche Heer aufgenommen zu werden, wird abgelehnt, weshalb er sich als Zeichenlehrer seinen Unterhalt verdient.[17] Angesichts estnischer Eigenstaatlichkeitsbestrebungen und aus Loyalität gegenüber dem Deutschen Reich bleibt er jedoch nicht mehr lange in seiner Heimatstadt, sondern wandert Ende November 1918 nach Deutschland aus.[18]

 

Rosenberg in München – Die Gründung der Aufbau-Vereinigung

In München angekommen, findet Rosenberg eine Unterkunft bei Otto von Kursell, ebenfalls deutschbaltischer Emigrant und Mitglied der Rubonia, der sich als Karikaturist in antisemitischen Kreisen einen Namen macht. Im März 1919 zieht Rosenberg in die Oettingenstraße 4.[19] Über Kursell bekommt Rosenberg auch Kontakt zu Dietrich Eckart, dem Chefradakteur der völkischen Zeitschrift Auf gut deutsch und später des Völkischen Beobachters.[20] München ist zu dieser Zeit der Anlaufpunkt einiger „weißer“ Emigranten aus dem Russischen Reich, die sich hier im rechten Spektrum sammeln.[21] So knüpft Rosenberg Kontakte zu Max Erwin von Scheubner-Richter und Arno Schickedanz, die wie Rosenberg und Kursell Deutschbalten und Mitglieder der Rubonia sind. Hier zeigt sich die Bedeutung dieses Netzwerks in der Emigration.

Der Kreis der emigrierten Revolutionsgegner in München blieb jedoch nicht allein auf die Deutschbalten beschränkt: Nach dem gescheiterten Kapp-Putsch im März 1920 gründet sich die deutsch-russische Organisation Aufbau – Wirtschaftspolitische Vereinigung für den Osten, der mit Vladimir Biskupskij, Ivan Poltavets-Ostranitsa und Fëdor Vinberg sowie ferner Pëtr Šabelskij-Bork und Sergej Taboritskij auch frühere Anhänger der Schwarzen Hundertschaften, also monarchistisch-nationalistischer Organisationen des späten Zarenreichs, angehören.[22] Über Erich von Ludendorff stellt diese Gruppe die Verbindung zum entstehenden deutschen Nationalsozialismus her.[23] Große finanzielle Unterstützung erhält die Vereinigung aus Russland und von russischen Emigranten.[24]

Ziel der Gruppe ist eine Verbindung von Revolutionsgegnern in Deutschland mit dem Netzwerk des russischen Generals Vrangel’, der im russischen Bürgerkrieg gegen die Revolutionäre kämpft. Der Sieg der Bolschewiki in Russland macht zwar diese Kooperation zunichte, die Aufbau-Vereinigung in Deutschland bleibt jedoch als Netzwerk von Antibolschewisten, Antisemiten und Gegnern der entstandenen Weimarer Republik bestehen.[25]

Interessant ist, dass Rosenberg zwar die enge Verbindung zu Kursell und Eckart in seinen Memoiren hervorhebt, jedoch kein Wort über die Aufbau-Vereinigung verliert. Ob dies an den bereits besprochenen Umständen der Entstehung seiner Aufzeichnungen liegt, darüber kann nur spekuliert werden. Tatsache ist, dass die Bedeutung des Aufbau-Netzwerks für die Entstehung und Etablierung der NSDAP nicht unterschätzt werden darf: Die personellen Überschneidungen zwischen beiden Organisationen sind erheblich, zudem dient die Aufbau-Vereinigung als Netzwerk all jener, die für die Russische Revolution den „jüdischen Bolschewismus“ verantwortlich machen und damit dem deutschen Faschismus ideologisch große Vorarbeit leisten.

Rosenberg spielt eine wichtige Rolle in diesen Kreisen, da er zum einen für den Gründer der Aufbau-Vereinigung, Scheubner-Richter, eine wichtige Referenz bezüglich Fragen zu Russland darstellt und auf der anderen Seite großen Einfluss auf die Entwicklung von Adolf Hitlers Propaganda hat.[26] Diesem begegnet er 1919 und wird schnell zu dessen engem Vertrauten.

In der entstehenden NSDAP gilt er als ausgewiesener Russland-Experte, seine Ideologie einer bolschewistisch-jüdischen Verschwörung beeinflusst Hitler offenbar enorm in seiner anti-bolschewistischen Ideologie und Russland-Politik.[27] Es ist also Rosenberg, der zu einem maßgeblichen Teil das antisemitische Gedankengut aus der deutschbaltischen Gesellschaft in die rechte Szene in München bringt, wo es auf den Nährboden des dort bereits bestehenden Antisemitismus fällt.[28] Auch personelle Verbindungen entstehen durch seine Vermittlung.[29] Rosenberg wird deswegen auch als Hitlers ideologischer Mentor bezeichnet.[30]

Mit dem Tod Scheubner-Richters während des sogenannten Hitlerputsches 1923 verliert die Aufbau-Vereinigung und mit ihr die russischen Emigranten an Einfluss in der geschwächten NSDAP. Dennoch bleiben persönliche Verbindungen der Vereinigung erhalten, beispielsweise beschäftigt Rosenberg Arno Schickedanz später als seinen Stellvertreter im Auswärtigen Amt.[31]

Ein weiterer Schauplatz der Verbindung von russischen Emigranten und Nationalsozialisten ist die Zeitung Völkischer Beobachter, in welcher seit 1921 häufig Beiträge russischer Autoren zu finden sind.[32] Auch Rosenberg veröffentlicht hier Artikel.[33] Bis 1923 ist Dieter Eckart Schriftleiter des Mediums, Rosenberg wird sein Nachfolger, bekleidet diesen Posten bis 1938 und wirkt in dieser Position als zentraler Akteur nationalsozialistischer Propaganda.

 

Konflikte mit Justiz und Presse

In den 1920er und 1930er Jahren kommt Rosenberg mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt: 1921 erhält er einen Strafbefehl wegen Anstiftung zum Zweikampf. Die genauen Umstände sind nicht bekannt, doch muss Rosenberg zwei Wochen im Gefängnis verbringen.[34] 1926 wird er zudem wegen Richterbeleidigung verurteilt.[35]

Im November 1930 erregt seine Herkunft aus Osteuropa erstmals öffentlich Aufmerksamkeit: In der Presse tauchen Gerüchte auf, Rosenberg habe sich während des Weltkriegs in Paris aufgehalten.[36] Daraus entwickelt sich der Verdacht, Rosenberg habe als Spion für die damaligen Kriegsgegner des Deutschen Reiches gearbeitet.[37] Genährt werden die Gerüchte von dem Umstand, dass Rosenberg aus dem Russischen Reich stammt und angeblich bei seiner Ankunft in Deutschland kaum Deutsch gesprochen habe.[38] Die Vorwürfe werden bei mehreren Gelegenheiten vor allem von der Augsburger Postzeitung und der Münchner Post aufs Neue hervorgebracht.[39] Anlass zur Häme bietet auch die Beobachtung, dass Rosenberg sich entgegen seiner Herkunft als Deutscher darzustellen versuche.[40]

Rosenberg reagiert kaum auf die Vorwürfe und beschränkt sich auf knappe Gegendarstellungen, in denen er stets die Anschuldigungen negiert und sich darüber hinaus nicht zu seinem Leben während des Krieges äußert – was die Gerüchte nur weiter anheizt.[41] Prozesse gegen einzelne Journalisten gewinnt er, da diese ihre Behauptungen nicht belegen können.[42] Inwiefern diese Vorwürfe zutreffen, ist nicht eindeutig geklärt, es gibt jedoch für eine Spionagetätigkeit Rosenbergs keine weiteren Hinweise.

 

Rosenbergs Aufstieg in der NSDAP und im NS-System

1923 ist Rosenberg beim „Marsch auf die Feldherrenhalle“ beteiligt, er läuft direkt hinter Hitler. Jedoch entgeht er einer Anklage und wird von Hitler, der zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, zu dessen Stellvertreter in der NSDAP ernannt.[43]

Auch nach dem Ende der Aufbau-Vereinigung und der „Machtergreifung“ Hitlers zehn Jahre später bleibt Rosenberg eine zentrale Figur des NS-Systems und nutzt in verschiedenen Funktionen seine Verbindung in deutschbaltische, russische und ukrainische Emigrantenkreise:[44] Neben seiner Tätigkeit als Schriftleiter des Völkischen Beobachters leitet er das Außenpolitische Amt der NSDAP, berät Hitler als „Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP“ und wird 1941 zum zuständigen „Reichsminister für die eroberten Ostgebiete“ ernannt. In dieser Position nutzt er seine Verbindungen, um eine Operation zur Rekrutierung sowjetischer NS-Sympathisanten für den Einsatz im Krieg zu koordinieren.[45]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Alfred Rosenberg in den Nürnberger Prozessen 1946 zum Tode verurteilt und am 16. Oktober 1946 hingerichtet.

 

Fazit

Die Widersprüche zwischen Rosenbergs zeitgenössischen Schriften und seinen Memoiren und die Tatsache, dass es keine persönlichen Aufzeichnungen vor 1933 gibt, machen Rosenberg heute zu einer schwer greifbaren Figur. Ob für seine antisemitische und völkische Ideologie das Erleben der Russischen Revolution ausschlaggebend war oder das bereits zuvor antisemitisch geprägte Milieu, das in Netzwerken wie der Rubonia und der Aufbau-Vereinigung nach München transferiert und verdichtet wurde, kann nicht abschließend beurteilt werden.

Klar ist aber, dass eben jene Netzwerke, die durch die postrevolutionäre Migration nach München kamen beziehungsweise dort entstanden, eine zentrale Rolle bei der Entstehung und Etablierung des Nationalsozialismus spielten. Sie ermöglichten die Vernetzung einer rechten Elite mit einem Pool antisemitischen Gedankenguts, der den ideologischen Nährboden der NSDAP bildete. Wie zentral Rosenbergs Rolle hierbei war, wird auch daran deutlich, dass Hitler ihn 1924 während seiner Haft zu seinem Stellvertreter machte. Als ideologischer Kopf der NSDAP, der sein Leben lang stark vom deutschbaltischen Milieu in Reval und München geprägt war, stellte Rosenberg in seinem Wirken eine zentrale Verbindung zwischen München und der Russischen Revolution dar.

 

Endnoten

[1] Vgl. Piper, Ernst: Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe. München 2005.

[2] Rosenberg, Alfred: Letzte Aufzeichnungen. Nürnberg 1945/46. Uelzen 1996, S.13-30.

[3] Ebd., S. 28.

[4] Ebd., S. 32.

[5] Ebd., S. 34.

[6] Ebd., S. 35.

[7] Ebd., S. 37.

[8] Ebd., S. 43, S. 45. Vorwürfe, die Deutschbalten würden als Spione für den Kriegsgegner arbeiten, weist Rosenberg zurück und betont stattdessen die Loyalität der Balten gegenüber Russland, die er in einer Opferrolle sieht: „Auf jeden Fall war die baltische Haltung würdig, ehrenvoll, mit bewußt auf sich genommenem tragischem Schicksal“ (ebd., S. 46f.).

[9] Ebd., S. 43.

[10] Ebd., S. 47.

[11] Ebd., S. 56f.

[12] Ebd., S. 55, S. 57.

[13] Dafür gibt es mehrere mögliche Ursachen: Es ist denkbar, dass Rosenberg aus den eingangs geschilderten Gründen den Anklägern der Nürnberger Prozesse nicht weiter in die Hände spielen wollte. Zudem scheinen die Letzten Aufzeichnungen nicht komplett wiedergegeben worden zu sein: In seinem Vorwort erklärt der Herausgeber der Memoiren, Karl Waldemar Schütz – der zahlreiche rechtsextreme Schriften publiziert hat –, dass Abhandlungen über Juden gestrichen wurden, „mit Rücksicht auf in der BRD einzig dastehende Gesetzesbestimmungen“. Allerdings wurden entsprechende Streichungen nicht kenntlich gemacht.

[14] Vgl. beispielsweise Rosenberg, Alfred: Der Jude, vom 10. August 1918 oder Ders.: Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten, aus dem Jahr 1920. In: Rosenberg, Alfred: Schriften und Reden. Band 1. München 1943, S. 88-116 und S. 125-322.

[15] Rosenberg: Der Jude, S. 112-115; Ders.: Die Spur des Juden im Wandel der Zeiten, S. 266-268 [vgl. Anm. 14].

[16] Vgl. z.B. Rosenberg, Alfred: Der jüdische Bolschewismus. In: Ders.: Schriften und Reden. Band 2. München 1943, S. 567-574.

[17] Rosenberg: Letzte Aufzeichnungen, S. 62 [vgl. Anm. 2].

[18] Ausschnitt aus der Augsburger Postzeitung vom 8.11.1930, Stadtarchiv München (StAM), ZA 421/10, Rosenberg, Alfred – Reichsleiter, 1924-1933.

[19] Einwohnermeldekarte Alfred Ernst Rosenberg, StAM, EWK 65/R811.

[20] Rosenberg: Letzte Aufzeichnungen, S. 66 [vgl. Anm. 2]. Dieter Eckart gilt heute als Hitlers „Mentor“, vgl. Kellogg, Michael: The Russian Roots of Nazism. Cambridge u.a. 2005, S. 218.

[21] 1921 lebten in München 1105 emigrierte „Weiße“, vgl. Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 112 [vgl. Anm. 20].

[22] Ebd., S. 110.

[23] Ebd.

[24] Stoakes, Geoffrey: The Evolution of Hitler’s Ideas in Foreign Policy, 1919-1925, in: Stachura, Peter D. (Hg.): The Shaping of the Nazi State. New York 2015, S. 22-47, hier S. 42; Jdanoff, Dennis: „Russische Faschisten“. Der nationalsozialistische Flügel der russischen Emigration im Dritten Reich, S. 45, unter: epub.ub.uni-muenchen.de/548/1/jdanoff-faschisten.pdf, 03.04.2016.

[25] Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 109 [vgl. Anm. 20].

[26] Jdanoff: „Russische Faschisten“, S. 44 [vgl. Anm. 24].

[27] Stoakes: The Evolution of Hitler’s Ideas in Foreign Policy, S. 24f. [vgl. Anm. 24]; Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 219f. [vgl. Anm. 20]. Zum Einfluss Rosenbergs und weiterer Aufbau-Mitglieder auf Hitlers Ideologie vgl. das Kapitel „The Four Writers of the Apocalypse“. In: Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 217-244 [vgl. Anm. 20].

[28] Jdanoff: „Russische Faschisten“, S. 44 [vgl. Anm. 24].

[29] Stephan, John J.: The Russian Fascists. Tragedy and Farce in Exile 1925-1945. London 1978, S. 22f.

[30] Z.B. ebd., S. 20; Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 220 [vgl. Anm. 20].

[31] Jdanoff: „Russische Faschisten“, S. 47, S. 52 [vgl. Anm. 24].

[32] Horn, Wolfgang: Ein unbekannter Aufsatz Hitlers aus dem Frühjahr 1924, in: Vierteljahrhefte für Zeitgeschichte 16/3 (1968), S. 280-294, hier S. 290.

[33] Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S. 222f. [vgl. Anm. 20].

[34] Strafbefehl 3547/21, Staatsarchiv München (StA), Fond Justizvollzugsanstalten 15149 (Festungshaftanstalt Landsberg).

[35] Ausschnitt aus dem Völkischen Beobachter vom 20.6.1926, StAM, Rosenberg.

[36] Ausschnitt aus der Augsburger Postzeitung vom 01.11.1930, StAM, Rosenberg.

[37] Ausschnitt aus der Neuen Zeitung vom 04.11.1930, StAM, Rosenberg.

[38] Ausschnitt aus der Augsburger Postzeitung vom 01.11.1930, StAM, Rosenberg.

[39] Ausschnitte aus der Münchner Post vom 07.11.1930, 09.11.1932, Augsburger Postzeitung vom 05.11.1932, 08.11.1932, StAM, Rosenberg.

[40] Ausschnitt aus der Münchner Post vom 09.11.1932, StAM, Rosenberg. Rosenberg hatte auf einer Veranstaltung ein vermeintliches Goethe-Zitat verwendet, welches aber aus einem Werk Schillers stammt.

[41] Ausschnitt aus der Augsburger Postzeitung vom 05.11.1930 mit Richtigstellung Rosenbergs, Ausschnitt aus dem Völkischen Beobachter vom 09.03.1932, StAM, Rosenberg.

[42] Ausschnitt aus dem Bayerischen Kurier vom 22.03.1932, Ausschnitt aus Münchner Post vom 28.06.1932, StAM, Rosenberg.

[43] Rosenberg: Letzte Aufzeichnungen, S. 97, S. 106f. [vgl. Anm. 2].

[44] Vgl. u.a. Kellogg: The Russian Roots of Nazism, S.252-258 [vgl. Anm. 20].

[45] Ebd., S. 246.

Autorin

Judith Brehmer

Bearbeitung: Carolin Piorun