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Im Bewerbungsgespräch für meine Stelle im Forschungskolleg „Wissen | Ausstellen“ wurde ich von der Sprecherin des Kollegs Margarete Vöhringer gefragt: „Frau Bechauf, könnten Sie sich vorstellen, im Kolleg interdisziplinär zu arbeiten?“. Die Frage löste einen Irritationsmoment aus. War es eine Fangfrage? Erstens war das Kolleg explizit als interdisziplinäres Forschungskolleg ausgeschrieben und zweitens wussten die Anwesenden aus meinen Unterlagen ja ganz genau, dass ich überhaupt keinen (reinen) einseitig-disziplinären Hintergrund hatte: Ich habe auf dem Papier Geschichte und deutschsprachige Literatur im Bachelor studiert und verfüge außerdem über einen Master in Kulturerbe. Also habe ich natürlich ja gesagt. Mit Nachdruck. Dass es aber tatsächlich mehr bedeutet, interdisziplinär in einem Kollegverbund zu arbeiten als eine interdisziplinäre universitäre Ausbildung zu haben, habe ich erst in der Rückschau auf die ersten drei Kolleg-Jahre verstanden.
Inzwischen, am Ende der Förderphase, und angestoßen vom interdisziplinären Doktorand:innen-Workshop der Jungen DGO Bamberg/Erlangen und München im Januar 2022, habe ich einen differenzierteren Blick auf Formen des Interdisziplinären innerhalb eines interdisziplinären Forschungsverbundes. Im Bewerbungsgespräch hatte ich die Frage nach der Interdisziplinarität zunächst auf mich, also auf meine individuelle interdisziplinäre Ausbildung, bezogen. Dass wir alle aus unterschiedlichen Fachkontexten kommen und dadurch auch auf interpersoneller Ebene interdisziplinär arbeiten würden, war mir zwar bewusst, wie herausfordernd dies tatsächlich in der Praxis werden würde, wusste ich allerdings nicht.
In diesem Beitrag möchte ich nun zunächst aus meiner eigenen Arbeitserfahrung in und an einem interdisziplinären Forschungskolleg berichten, um daraus abzuleiten, wie und warum interdisziplinäres Arbeiten wann – das heißt auf welchen Ebenen – funktioniert hat. Dazu stelle ich die Strategien und Arbeitsweisen heraus, die wir für uns gefunden haben und gehe zudem auf institutionelle und von uns selbst geschaffene Strukturen ein. Schließlich fasse ich Voraussetzungen für und den Mehrwert von interdisziplinären Projekten vor dem Hintergrund der Arbeit im Kolleg zusammen.
Unser Forschungskolleg setzt sich aus sieben Kollegiatinnen und einer Postdoktorandin zusammen, wobei die Stellen der Kollegiatinnen wiederum an sieben Professuren/Lehrstühlen an der Universität Göttingen angegliedert sind. Die sieben Professor:innen waren außerdem als Mitantragsteller:innen an der Gründung des Kollegs beteiligt. Gemeinsamer Ausgangspunkt und zentraler Forschungsgegenstand in den acht Projekten sind dabei Museen und Ausstellungen, genauer unterschiedliche Arten von Wissen, die im Kontext musealer Ausstellungen auftreten und relevant für ihr Zustandekommen sind. Alle Projekte kreisen dabei um übergeordnete Fragestellungen einer Wissensgeschichte des Ausstellens, das heißt: „Wie wird ein wie auch immer geartetes Wissen in musealen Ausstellungen produziert, verhandelt, vermittelt, marginalisiert oder sogar negiert – und welche unterschiedlichen Formen des Wissens sind dafür relevant?“ Zum im Antrag formulierten Kollegsziel zählte daran anknüpfend das Entwickeln einer Methode der Ausstellungsanalyse, die es erlaubt, gerade jene nicht zuletzt in der Forschung zu Museen marginalisierten, in der Regel nicht dokumentierten und daher nur schwer greifbaren Formen des Wissens in den Blick zu nehmen. Im Verlauf der gemeinsamen Arbeitszeit umschrieben wir diese Formen unter anderem mit ‚Nicht-Wissen‘, ‚Praxis‘- oder auch ‚Handlungswissen‘.
Der gemeinsame Kern unserer Dissertationsprojekte und damit des Kollegsprogramms konstituiert sich im Wesentlichen aus drei (Fach-)Gebieten: Der Wissen(schaft)s-geschichte, der Museologie bzw. Museumswissenschaft und der Museumspraxis. Im ersten Kollegjahr, das wir gemeinsam vor Ort in Göttingen verbracht haben, haben wir uns aus einer theoretischen Perspektive mit Wissen(schafts-)geschichte und Museologie auseinandergesetzt und versucht, uns aus unseren unterschiedlichen Disziplinen den für unsere Projekte zentralen Begriffen ‚Wissen‘ und ‚Ausstellen‘ anzunähern. Festzustellen war bereits hier, dass sich erstens keine allgemeingültige, fachübergreifende Definition finden ließ und dass die Begriffe im Lauf der Projektentwicklungen jeweils individuell mehr oder weniger Gewicht erhielten. Sowohl bei der Wissens- bzw. Wissenschaftsgeschichte wie auch bei der Museologie handelt es sich dabei um vergleichbar junge Wissenschaftszweige. Insbesondere Letztere ist an sich bereits interdisziplinär. Sowohl Museen als auch Ausstellungen sind, seit sie – oft über ihren Inhalt hinausgehend – für die wissenschaftliche Auseinandersetzung interessant geworden sind, von unterschiedlichen Disziplinen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Methoden und theoretischer Ansätze betrachtet worden. Die methodischen Zugänge der Analysen von Museen und Ausstellungen kommen aus verschiedenen Disziplinen und werden auch interdisziplinär diskutiert.[1]
In seiner Keynote zum Auftakt des interdisziplinären Doktorand:innen-Workshops der Jungen DGO Bamberg/Erlangen und München am 21.01.2022 sprach Alexander Libman das Problem der Überprüfbarkeit innerhalb interdisziplinärer Forschungsprojekte an: „Woher wissen die Soziolog:innen, dass die Historiker:innen gut gearbeitet haben?“[2] Diese Problematik, die über das „Problem einer gemeinsamen Sprache [hinausgeht und] bereits [bei] Divergenzen in der Auffassung von »Gegenstand und Fragestellung«“[3] ansetzt, haben wir in unserem Kolleg wiederholt thematisiert und versucht für uns zu lösen. Dazu haben wir wöchentlich ein Seminar zur Wissensgeschichte besucht, wo wir unter der Leitung von Margarete Vöhringer und unserer Postdoktorandin Daniela Döring zusammen mit Studierenden der Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte Entwicklungen und Kernbegriffe der Wissensgeschichte erarbeitet haben. Dabei ging es um Erforschung bzw. Erforschbarkeit von Wissen in Wissenschaft und Museum im Allgemeinen, aber auch um verschiedene Wissensformen und die Arbeit mit ihnen im Speziellen.
Methoden und Ansätzen der Museologie haben wir uns intern insbesondere in einem Laborformat angenähert. Im ersten Kollegsjahr haben wir hier einmal wöchentlich Forschungsliteratur gelesen und Termini wie beispielsweise „Museum“, „Ausstellung“, „Ding“, „Objekt“, „Exponat“, „Szenographie“, „Narrativ“, „Erinnerung“, „Mythos“, „Politik“ etc. diskutiert. Vor dem Hintergrund unserer unterschiedlichen Disziplinen und Ansätze haben wir hier debattiert, verhandelt, eine gemeinsame Sprache gesucht und schließlich auch – zumindest für die meisten Situationen – gefunden, um uns auf einer Ebene verständigen zu können: Was meinen wir, wenn wir von „Ausstellung“ sprechen? Für wen hat der Begriff in welchem Kontext welche Bedeutung? Ein in der Forschung in diesem Zusammenhang viel diskutiertes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die neue ICOM Museumsdefinition und die Frage danach, was ein Museum jenseits einer Ansammlung von Objekten sein kann.[4] Außerdem haben wir gemeinsam verschiedene Ausstellungen besucht, vor Ort mit den Kurator:innen gesprochen und konnten darüber hinaus mit Expert:innen wie Nora Sternfeld und Anke te Heesen im Rahmen von Werkstattgesprächen aktuelle Ansätze aus der Forschung an und zu Ausstellungen diskutieren.
Ein weiterer wichtiger Baustein, den wir im ersten Jahr der Förderphase gelegt haben, war der Austausch über Methoden. Wir luden unterschiedliche Wissenschaftler:innen zu einem mehrtägigen Workshop ein, über ihre Methoden der Ausstellungs- und Museumsanalyse zu sprechen. Außerdem stellten wir selbst ausgehend von unserem eigenen fachlichen Hintergrund sowie von unseren Forschungserfahrungen weitere Ansätze vor. Unter anderem stellten die Kollegiatinnen die „Teilnehmende Beobachtung“ aus der Ethnographie oder die „Akteur-Netzwerk-Theorie“ aus der Technik-Soziologie vor und zeigten an Ausstellungsbeispielen deren Anwendung. Ähnlich bereiteten wir später auch unser Praxisjahr methodisch interdisziplinär und mit Unterstützung aus Theorie und Praxis vor.
Das sogenannte Praxisjahr bildete eine weitere Besonderheit unseres Kollegs: Vorgesehen im akademischen Jahr 2019/2020 verbrachten wir diese Zeit an einer musealen Einrichtung, die Berührungspunkte zu unseren jeweiligen Forschungsprojekten aufweist. Hier hatten wir die Gelegenheit, an einer Ausstellung mitzuarbeiten und so den Ausstellungsbetrieb und das Kuratieren von der praktischen Seite zu erfahren. Dies geschah vor allem vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Sensibilisierung für die bereits erwähnten, bislang in der museumswissenschaftlichen Forschung weitgehend unbeachteten Formen des Wissens, für ihre Orte und Akteur:innen – und um so umgekehrt mögliche Ansätze ihrer Erforschbarkeit zu entwickeln. Im Vorfeld des Praxisjahres sprachen wir oft über Möglichkeiten des Festhaltens von Eindrücken in Forschungstagebüchern, die „Dichte Beschreibung“[5] als Methode und insbesondere die Schwierigkeit unserer eigenen Doppelrolle als von außen Forschende zugleich Teil der beforschten Institution zu sein. Wenige Monate nach Anlauf des Praxisjahres sorgte die Corona-Pandemie nicht nur für das Verschieben, Verlagern ins Digitale oder gar für ein vollständiges Ausfallen einiger Ausstellungsprojekte, sondern forderte auch das Finden individueller Gestaltungsmöglichkeiten der Praxisphasen. Trotz allem gelang es uns – zumindest in den ersten sechs Monaten unseres Praxisjahres –, Erfahrungen mit Sammlungskontexten und -logiken zu sammeln, institutionelle und strukturelle Einblicke in die Ausstellungsarbeit/museale Praxis zu bekommen und in einigen Fällen sogar selbst kuratorisch tätig zu werden. Diese Erfahrungen helfen uns nicht nur dabei, mögliche Formen des im Kontext von Ausstellungen relevanten Praxiswissens zu reflektieren, sondern sie fließen gleichzeitig auch selbst als eine Form jenes Praxiswissens in unsere Forschungsprojekte mit ein.
Den Gegenpol zu diesem interdisziplinären Kern des Kollegs bildet die fachliche Anbindung durch die Betreuung an die jeweiligen universitären Lehrstühle/Institute und Seminare. Auch hier sind und waren wir Kollegiatinnen individuell mehr oder weniger stark eingebunden. Wir waren eingeladen, die Fachkolloquien, teilweise auch Lehrveranstaltungen zu besuchen oder zusammen mit den Betreuenden selbst zu lehren. Außerdem stehen wir im Austausch mit anderen Doktorand:innen und Kolleg:innen der Lehrstühle. Die Anbindung an die Professuren an sich hat ebenfalls eine interdisziplinäre Komponente: Die Professuren gehören nicht unbedingt zu den Disziplinen, die wir selbst studiert haben. Johanna Lessing arbeitet beispielsweise zu menschlichen Überresten in musealen Ausstellungen und hat Europäische Ethnologie, Geschichte, Literaturwissenschaften und Kulturwissenschaften studiert. Ihr Dissertationsprojekt ist am Lehrstuhl für Ethik und Geschichte der Medizin angesiedelt. Ihre Betreuerin ist entsprechend Medizinethikerin. Dadurch ergeben sich inhaltlich, aber auch methodisch-theoretisch nicht nur den Austausch innerhalb des Kollegs betreffend sondern auch in der Kommunikation mit den Betreuenden oft bestimmte Herausforderungen. Das heißt, ebenso in der Betreuung sind Aushandlungsprozesse und Kommunikation zwischen den Disziplinen notwendig und üblich. Auch in diesem Kontext wurde das Verhältnis zwischen interdisziplinärem Gegenstand und disziplinärer Anbindung immer wieder diskutiert und floss nicht nur in die Forschungsarbeiten mit ein: Von unseren Betreuenden werden wir nicht selten als ‚die Ausstellungs-, Museums-, Sammlungsexpertinnen‘ oder als Expertinnen für bestimmte Objektgruppen gesehen und entsprechend in verschiedene Kontexte eingeladen, aus der Sicht der Museologie etwas beizutragen – sei es in der Lehre, in Workshops, bei Tagungen oder anderen Formaten. So hat meine Doktormutter Anke Hilbrenner beispielsweise einen kleinen Workshop für ihre Doktorandinnen[6] organisiert, in dem wir über unseren jeweils unterschiedlichen Zugang zu (historischen) Fotografien und unserem projektspezifischen Umgang mit diesem Medium diskutierten sowie gemeinsam mögliche Methoden, Zugänge und Anknüpfungspunkte herausarbeiteten. Meiner Erfahrung nach ist auch dieser intra-disziplinäre Austausch für beide Seiten interessant und anregend.
Zusammen mit allen Betreuenden veranstalten wir außerdem eine jährliche, kolleginterne Klausurtagung. Hier werden jeweils neue Aspekte oder Text-Teile der einzelnen Projekte vorgestellt und gemeinsam diskutiert. Insbesondere in diesem Format ergeben sich noch einmal ganz andere und besonders fruchtbare Diskussionen und Synergie-Effekte zwischen Fächern, die man im Vorhinein vielleicht nicht vermutet hätte. Für mich selbst ist das Feedback in diesem Rahmen immer wieder sehr wertvoll gewesen.
Ein Grund dafür, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit in unserem Falle so gut funktioniert, liegt möglicherweise darin, dass wir alle – wir sieben Kollegiatinnen, unsere Postdoktorandin und unsere Sprecherin – interdisziplinär sozialisiert sind. Wir alle haben mehr als nur eine Fachrichtung studiert und in vielen Fällen auch interdisziplinäre Studiengänge wie „Mittelalter- und Renaissance-Studien“, „Public History“ oder eben „Kulturerbe“ absolviert. Die eigene Erfahrung mit Interdisziplinarität scheint sich positiv auf das Interesse an einer interdisziplinären Kollegarbeit ausgewirkt zu haben. In unseren Arbeiten manifestiert sich diese interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem in der verwendeten, gemeinsam erarbeiteten Sprache und in der flexiblen Anwendung unterschiedlicher, nicht zwingend dem eigenen Fachhintergrund entspringender Methoden. Viele von uns führen Forschungstagebücher und arbeiten in der Ausstellungsbeschreibung mit einer Dichten Beschreibung oder anderen, ursprünglich aus der Ethnologie bzw. der ethnologischen Feldforschung stammenden Ansätzen, die hier im Kontext der Ausstellungsanalyse verwendet werden. Teilweise arbeiten wir auch mit Akteur-Netzwerk-Analyse oder lesen Ausstellungen in Anlehnung an die Sprachwissenschaft als Text. Immer wieder diskutieren wir dabei diese Methoden im Kreis der Kollegiatinnen und lassen uns von der jeweiligen Expertin beraten. Wir lassen eigene Texte und Textbausteine immer wieder zirkulieren und arbeiten mit internen Feedbackrunden. Auch dafür ist die Anerkennung der jeweils individuellen Expertisen innerhalb des Forschungsverbundes grundlegend.
Grundvoraussetzung für den respektvollen, interdisziplinären Austausch war rückblickend betrachtet insbesondere unser erstes Kollegjahr: Nicht nur, dass wir ein Jahr für das Finden einer eigenen Sprache, den Austausch über Methoden und Begriffe sowie die gemeinsame Erarbeitung der Grundlagen der Wissensgeschichte investiert hatten. Wichtig war vor allem, dass wir im ersten Kollegjahr alle mindestens drei bis fünf Tage die Woche in Göttingen vor Ort waren und uns in den Seminaren, Ringvorlesungen, gemeinsamen Ausstellungsbesuchen, Workshops, aber auch den gemeinsamen Räumlichkeiten, in Kaffee-Pausen oder einfach zwischen Tür und Angel austauschen konnten. Der persönliche und „analoge“, permanente Austausch, die Arbeit an der fächerübergreifenden Verständigung über Begriffe, Methoden und Theorien, aber auch das Schaffen eines Raumes (im physischen und im übertragenen Sinne), in dem eine kritische aber respektvolle Kommunikation möglich ist, war nicht immer einfach, teilweise auch nervenaufreibend oder zermürbend. Sowohl Kraft- als auch Zeitaufwand waren hier nötig. Aber genau davon zehren wir gerade: Wir haben uns auf einer persönlichen Ebene kennengelernt, wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden und ein Verständnis für den jeweiligen Standpunkt der anderen erlangt. Wir können gegenseitig die Meinung, vor allem aber die Expertise und die alternativen Perspektiven anerkennen und uns dadurch leichter untereinander helfen. Das hat dazu geführt, dass wir diese kollegiale Atmosphäre nutzen können, um selbstorganisiert in teils kleineren, teils größeren Gruppen zu forschen und tatsächlich Wissenschaft als „Teamsport zu betreiben“. Das heißt, wir spielen uns die Bälle gegenseitig zu, können aber auch individuelle Stärken gewinnbringend füreinander einsetzen.
Da wir im Praxisjahr ohnehin geplant hatten, an verschiedenen Orten zu arbeiten und uns dennoch monatlich in Videokonferenzen zu sehen, hatten wir in mehrfacher Hinsicht bereits vor Ausbruch der Pandemie eine digitale Infrastruktur und die notwendige Diskussionskultur etabliert, die uns später in den virtuellen Kollegsitzungen und den digitalen Co-Working-Sessions zu Gute kamen. Beides hat uns die Entwicklung neuer gemeinsamer Arbeitsweisen erleichtert und sie wahrscheinlich auch gefördert. So haben wir über Zoom verschiedene selbstorganisierte Lesekreise oder digitales Co-Working in Zeiten des social distancing abgehalten, haben stille Diskussionen mittels kollaborativer Online-Dokumente geführt, die wir in unsere digitalen Meetings oder gemeinsamen Texte einfließen lassen konnten. Wir haben gemeinsame Blogartikel[7] und Aufsätze verfasst oder aber gemeinsame Vorträge gehalten.[8] Kurzum: Wir haben in der gemeinsamen Kollegzeit – aufbauend auf dem ersten gemeinsamen Jahr in Göttingen voller intensivem, interdisziplinären Austausch – gelernt, interdisziplinär zusammenzuarbeiten, als Team zu funktionieren und auf verschiedenen Ebenen zusammenzuarbeiten. Natürlich gibt es auch in unserem Kolleg immer wieder kleinere oder größere Krisen, Meinungsverschiedenheiten und Probleme. Auch unter uns lässt sich im Verlauf der Pandemie und insbesondere zum Ende der Förderphase und der Schreibphase, in der wir uns jetzt befinden, eine Zunahme an Stress und Druck feststellen, die sich teilweise negativ auf das Miteinander auswirkt. Alles in Allem ziehen wir aber eine positive Bilanz.
Am Beispiel unseres Forschungskollegs lässt sich deutlich sehen, dass eine fruchtbare interdisziplinäre Zusammenarbeit, die, wie Alexander Libman sagt, über „das gegenseitige Lesen von Texten“[9] hinausgeht, allen Beteiligten – auf Seiten sowohl der Doktorand:innen als auch der Betreuenden – Ressourcen und Zeit abverlangt. Wie die Erfahrung im Kolleg gezeigt hat, braucht das Finden einer gemeinsamen Sprache, das gemeinsame Erarbeiten von Ansätzen, das Diskutieren von Theorien und Methoden, aber auch das Schaffen von Kommunikationsräumen vor allem Zeit – in unserem Fall etwa ein zusätzliches Jahr –, nach Möglichkeit in Präsenz. Meiner Meinung nach sollte dies sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen von Förderanträgen für interdisziplinäre Projekte berücksichtigt werden, um Projekte innerhalb der anvisierten Förderphase zum Abschluss zu bringen. Dahingehend sollten die derzeitigen Antragslogiken entsprechend überdacht werden. Wie wir außerdem nicht erst seit, aber verstärkt durch die Pandemie wissen, ist die Zusammenarbeit in Präsenz nur bedingt durch digitale Formate auszugleichen. Daher plädiere ich zudem für einen möglichst regelmäßigen Austausch in Präsenz, insbesondere jedoch im ersten Jahr der jeweiligen Förderphase. Zudem fordert interdisziplinäre Zusammenarbeit eine gewisse Infrastruktur und Offenheit von Seiten der beteiligten Institutionen, die ebenfalls von den Drittmittelgeber:innen unterstützt werden sollten – beispielsweise durch eine Finanzierung von Infrastruktur, Workshops oder ähnlichen Ressourcen.
Interdisziplinäre Projekte wie unseres sind sicherlich fordernd, sorgen aber dafür, dass – und damit schließe ich mich Stefanie Samida an – „im Idealfall eine produktive Reibung einsetzen [kann], die zunächst anstrengend sein mag, aber letztlich neue Fragen und neue Antworten hervorbringt.“[10] Damit bleibt Interdisziplinarität kein leeres Versprechen, sondern stößt neue Impulse an, die über die Disziplinengrenzen hinaus trans- und interdisziplinär verhandelt und umgekehrt auch wieder in die Disziplinen zurückgespiegelt werden können.
Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen im Forschungskolleg verstehe ich Interdisziplinarität heute mit Thorsten Philipp insbesondere als „eine akademische Grundhaltung, in der sich Offenheit, Kontextbewusstsein, Anerkennung der eigenen disziplinären Grenzen, Dialoginteresse sowie Kooperations- und Integrationsfähigkeit verbinden.“[11] Damit sehe ich den Mehrwert einer interdisziplinären Zusammenarbeit insbesondere im Erwerb der in der letztgenannten Definition enthaltenen Schlüsselqualifikationen wie „Offenheit, Kontextbewusstsein, […] Dialoginteresse“, sprich: Teamfähigkeit.
Diese akademische Grundhaltung setzt außerdem voraus, dass sich die Teilnehmenden auf disziplinärer Ebene gewissermaßen auf Augenhöhe begegnen. Rico Deflia und Antonietta Di Guilio beschreiben die Disziplinen als eigenständige Länder und mahnen in diesem Bild davor, „daß Kolonialismus und Kulturimperialismus vermieden und daß die Sitten und Gebräuche der Gastländer respektiert werden“ sollten.[12] Eine interdisziplinäre „Mutter-Disziplin“[13] beziehungsweise ein gemeinsamer interdisziplinär betrachteter Forschungsgegenstand scheint dabei, wie in unserem Fall, die Augenhöhe in der methodisch-theoretischen Annäherung aus verschiedenen disziplinären Kontexten zu erleichtern. Selbstverständlich trägt die fehlende hierarchische Struktur in der Projektarbeit während der Qualifikationsphase zusätzlich zu einer gewissen Augenhöhe bei, weshalb Forschungskollegs als eine besondere Form interdisziplinärer Projektarbeit anzusehen sind. Insbesondere, wenn – wie in unserem Fall – neben den Dissertationen weitere Projekte, wie Workshops, Blogartikel, Ausstellungen etc. aus der Zusammenarbeit entstehen.
Aus der Rückschau auf nunmehr vier Jahre interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der notwendigen permanenten Kommunikation, den ständigen Aushandlungsprozessen, Reibungen, aber auch mit der Offenheit und den Lernprozessen, verstehe ich nun die Sinnhaftigkeit und vor allem die Notwendigkeit der Frage nach der Bereitschaft zur interdisziplinären Forschungsarbeit, die unsere Sprecherin mir im Vorstellungsgespräch noch einmal mit Nachdruck stellte. Der Mehraufwand einer produktiven und fruchtbaren interdisziplinären Arbeit, wie sie unter anderem Libman[14] beschreibt, ist nicht zu unterschätzen. Die damit verbundenen, wissenschaftlichen und auch persönlichen Erfahrungen und Lernerfolge sind allerdings meiner Meinung nach überaus wertvoll.
[1]Siehe dazu beispielsweise Joachim BAUR (Hrsg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2006.
[2]Hier beziehe ich mich auf den Keynote-Vortrag vom 21.01.2022. Siehe dazu außerdem den Beitrag von Alexander LIBMAN in diesem Dossier.
[3]Werner KNOGGE: Einführung in die Wissenschaften: Wissenschaftstypen - Deutungskämpfe - Interdisziplinäre Kooperation, Bielefeld 2022, S. 181.
[4]Zur Debatte um die neue ICOM Definition als Museum jenseits der Dinge, siehe unter anderem Nora Sternfeld im Gespräch mit Aurora Rodonò zum Thema „Dissens fördern im ethnologischen Museum“. Hier diskutieren die beiden die ICOM-Definition kritisch und ausführlich. Nachzuhören ist das Gespräch auf dem YouTube-Kanal des Rauthenstrauch-Joest-Museums unter https://www.youtube.com/watch?v=1qeSkT5o4g4 (24.11.2022).
[5]Clifford GEERTZ: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983.
[6]Auch hier handelte es sich um eine rein weibliche Gruppe.
[7]Siehe dazu: Blog des Kollegs Wissen | Ausstellen: http://wie-wissen-ausstellen.uni-goettingen.de/, (24.11.2022).
[8]Mein persönliches Highlight dabei war die Teilnahme an der GRACEH-Tagung 2021 der Universitäten Wien, Oxford, dem European University Institute und der Central European University zum Thema „Motions of Knowledge – Knowledge in Motion. Conceptualizing “Knowledge Circulation” for Historical Research“. Hier hatten wir zu sechst ein Panel eingereicht und es geschafft, gemeinsam von unterschiedlichen Standorten aus einen gemeinsamen Online-Beitrag zu präsentieren, der reibungslos ablief.
[9]Alexander LIBMAN: Keynote: Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung: gesamtwissenschaftliche Aspekte und individuelle Karrieren, Bamberg 21.01.2022, siehe dazu außerdem seinen Beitrag in diesem Dossier: „it is enough to simply let them read texts written by the representatives of these disciplines“.
[10]Stefanie SAMDIA: Materielle Kultur – und dann? Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zu einem aktuellen Trend in der Zeitgeschichtsforschung, in: Zeitschrift für Zeithistorische Forschung 13/2016, S. 506–514, hier S. 514.
[11]Thorsten PHILIPP: Interdisziplinarität, in: Tobias SCHMOHL, Thorsten PHILIPP (Hrsg.): Handbuch Transdisziplinäre Didaktik, Bielefeld 2021, S. 163–175, hier S. 163f.
[12]Rico DELFIA, Antonietta DI GIULIO: Interdisziplinarität und Disziplinarität, in: Jan-Hendrik OLBERTZ (Hrsg.): Zwischen den Fächern – über den Dingen? Universalisierung versus Spezialisierung akademischer Bildung, Opladen 1998, S. 111–137, hier S. 132.
[13]Siehe hier unter anderem LIBMAN in diesem Dossier.
[14]Vgl. ebd.
BAUR, Joachim (Hrsg.): Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2006.
DELFIA, Rico – DI GIULIO, Antonietta: Interdisziplinarität und Disziplinarität, in: Jan-Hendrik OLBERTZ (Hrsg.): Zwischen den Fächern – über den Dingen? Universalisierung versus Spezialisierung akademischer Bildung, Opladen 1998, S. 111–137.
GEERTZ, Clifford: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1983.
KNOGGE, Werner: Einführung in die Wissenschaften: Wissenschaftstypen - Deutungskämpfe - Interdisziplinäre Kooperation, Bielefeld 2022.
LIBMAN, Alexander: Keynote: Interdisziplinarität in der Osteuropaforschung: gesamtwissenschaftliche Aspekte und individuelle Karrieren, Bamberg 21.01.2022.
PHILIPP, Thorsten: Interdisziplinarität, in: Tobias Schmohl – Thorsten Phillip (Hrsg.): Handbuch Transdisziplinäre Didaktik, Bielefeld 2021, S. 163–175.
SAMIDA, Stefanie: Materielle Kultur – und dann? Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zu einem aktuellen Trend in der Zeitgeschichtsforschung, in: Zeitschrift für Zeithistorische Forschung 13/2016, S. 506–514.
Blog des Kollegs Wissen | Ausstellen: http://wie-wissen-ausstellen.uni-goettingen.de/, (24.11.2022).
YouTube-Kanal des Rauthenstrauch-Joest-Museums unter https://www.youtube.com/watch?v=1qeSkT5o4g4 (24.11.2022).
Ramona Bechauf
ramona.bechauf(at)uni-goettingen.de
Georg-August-Universität Göttingen
Erschienen am 15. Mai 2023.