osmikon.search

osmikon.search

Was wird durchsucht?
osmikon.search bietet die Möglichkeit, parallel in knapp 40 einschlägigen deutschen und internationalen Bibliothekskatalogen, Bibliografien und Spezialdatenbanken nach wissenschaftlicher Literatur und Forschungsmaterialien zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa zu recherchieren.
Mehr über osmikon.search erfahren

OstDok

OstDok

Was wird durchsucht?
Das Fachrepositorium "OstDok – Osteuropa-Dokumente online" stellt elektronische Volltexte der Ost-, Ostmittel- und Südosteuropaforschung zur Verfügung.
Mehr über OstDok erfahren

ARTOS

ARTOS

Was wird durchsucht?
Die Datenbank ARTOS verzeichnet Fachartikel und Rezensionen aus rund 400 laufenden Zeitschriften und ausgewählten Sammelbänden im breiten Spektrum der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung aus dem östlichen und südöstlichen Europa und über die Region.
Mehr über ARTOS erfahren

OstNet

OstNet

Was wird durchsucht?
OstNet ist ein Katalog für Internetressourcen und verzeichnet wissenschaftlich relevante Websites und Online-Dokumente zu Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa. In OstNet können Sie beispielsweise nach institutionellen Websites, Blogs oder Digital-Humanities-Projekten zu einem bestimmten Thema oder Land recherchieren oder auch nach Datenbanken für ein bestimmtes Rechercheziel suchen.
Mehr über OstNet erfahren

ARTOS

ARTOS AboService

Nutzen Sie den ARTOS AboService, um sich regelmäßig per E-Mail über neue Fachartikel und Rezensionen aus mehreren hundert Zeitschriften und ausgewählten Sammelbänden zum östlichen Europa informieren zu lassen!
Mehr über den ARTOS AboService erfahren

1. Ungarn im Jahr 1968

Im Jahr 1968 passierte in Ungarn nichts. Zumindest nichts, was das Interesse internationaler Medien geweckt hätte. Während in der BRD und Frankreich die Studenten demonstrierten und in der Tschechoslowakei der Prager Frühling begann und endete, blieb es in Ungarn ruhig.

Dies lag mitnichten am fehlenden Willen. Bereits im Herbst des Jahres 1956 hatte die Bevölkerung unter Beweis gestellt, dass sie bereit war, auf die Straße zu gehen. Doch die Erinnerung an die Ereignisse, die als Ungarnaufstand in die Geschichte eingegangen sind, und die darauffolgende Politik der Pazifizierung hielten die Bevölkerung von weiteren Protesten ab.

Im Jahr 1968 beruhte die Ungarische Volksrepublik auf einem Kompromiss, der umgangssprachlich „Gulaschkommunismus“ genannt wurde: Die Gesellschaft erhielt relativen Wohlstand und einige Freiheiten – beispielsweise wurde die Zensur gelockert –, widersetzte sich der politischen Führung aber nicht, welche die Konflikte der 1950er Jahre tabuisierte und der Sowjetunion uneingeschränkte Loyalität zusicherte.

Zu diesem Zeitpunkt war János Kádár Ministerpräsident und Vorsitzender des Zentralkomitees. Er hielt diese Ämter seit der Niederschlagung des Aufstandes von  1956 inne und blieb in diesen Positionen bis zu seinem Tod im Jahr 1988 – ein Jahr vor der  Auflösung der Ungarischen Volksrepublik.

In den Anfängen seiner Regierungszeit kam es zu einer Welle von Repressionen und Hinrichtungen. Ab den 1960er Jahren zeigte sich Kádár innenpolitisch jedoch reformwillig. Es entstand ein System, das Ungarn den Ruf einbrachte, das liberalste Land des sowjetischen Lagers zu sein. Privatwirtschaftliche Initiativen wurden geduldet, der Tourismus florierte und der Lebensstandard in Ungarn lag deutlich höher als in anderen sozialistischen Ländern.

Ein Tabu blieb es jedoch, den Aufstand von 1956 öffentlich zu thematisieren. Am 23. Oktober 1956 entwickelte sich aus einer genehmigten Studentendemonstration eine Massenbewegung, die freie Wahlen, Presse- und Meinungsfreiheit und die Wiedereinsetzung des früheren, reformkommunistischen Ministerpräsidenten Imre Nagy forderte. In den folgenden Tagen erklärte Nagy die Einparteienherrschaft für beendet und verkündete den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Diesen Schritt akzeptierte die Sowjetunion nicht und marschierte am 1. November in Ungarn ein. In den folgenden drei Wochen schlug die Rote Armee den Aufstand nieder, mehr als 3000 Menschen starben.  

Noch immer vom sowjetischen Einmarsch traumatisiert, verhielt sich die ungarische Bevölkerung im Jahr 1968 ruhig, verfolgte die Entwicklungen in der Tschechoslowakei aber interessiert. Vorherrschend war die Meinung, dass Dubček nur versuche, die ungarischen Reformen aufzuholen. Auch die ungarische Regierung schaute anfangs wohlwollend nach Prag und schloss sich der Kritik der sowjetischen Parteiführung zunächst nicht an. Als die Auswirkungen der Reformen deutlich wurden, zog sich die Regierung um Kádár ab Mai 1968 zurück, versuchte aber weiterhin zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion zu vermitteln. Diese Bemühungen blieben erfolglos und so stellte Kádár am 21. August seine Loyalität zur Sowjetunion unter Beweis und schickte ungarische Truppen in die Tschechoslowakei.

Der Großteil der ungarischen Bevölkerung unterstützte die Beteiligung an der Invasion zwar nicht, doch kam es zu keinen Protesten. Das Trauma des Ungarnaufstands prägte das Land auch zwölf Jahre später so sehr, dass  die bestehende Ordnung nicht in Frage gestellt wurde und im Jahr 1968 in Ungarn nichts passierte.

 

Verwendete Literatur:

Lachmann, Hannes, Die „Ungarische Revolution“ und der „Prager Frühling“. Eine Verflechtungsgeschichte zweier Reformbewegungen zwischen 1956 und 1968, Essen 2018.


2. Der blasse Beobachter: Der Prager Frühling in der ungarischen Presse

Was die Reaktion der ungarischen Regierung auf den Prager Frühling betrifft, ist sich die Geschichtswissenschaft überwiegend einig: Die Regierung unter János Kádár hat die Reformen unter Dubček zuerst wohlwollend betrachtet, da sie sich einen Verbündeten für den eigenen Reformkurs wünschte. Als sich aber andeutete, dass die Tschechoslowakei sich immer weiter vom Sozialismus nach sowjetischem Vorbild entfernte, stellte sich Kádár auf die Seite der Sowjetunion und beschloss, dass sich Ungarn am Einmarsch nach Prag beteiligen würde – auch um die Aufmerksamkeit der Reformgegner nicht auf Ungarn zu lenken. Informationen über die Vorgänge in Prag erhielt das Zentralkomitee der MSzMP (Magyar Szocialista Munkáspárt, Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei) über Korrespondenten ungarischer Zeitungen in Prag und der dort ansässigen ungarischen Botschaft. Aber auch der tschechoslowakischen Botschaft in Budapest war daran gelegen, Informationen über den Reformkurs zu verbreiten.

Doch wie viel drang von diesen Informationen nach außen? Spiegelte sich die Auffassung der Regierung in der Berichterstattung und den Kommentaren der ungarischen Medien wider? Und konnte der ungarische (Durchschnitts-)Bürger den Reformprozess überhaupt überblicken, wenn er sich hauptsächlich durch Zeitungen informierte?

Die ungarische Presselandschaft wurde, wie in allen anderen sozialistischen Ländern, von der Partei kontrolliert. Zwar war die Zensur, verglichen mit der anderer Warschauer-Pakt-Staaten, in Ungarn relativ liberal, doch Meinungsfreiheit gab es auch hier nicht.

Die größte und einflussreichste Tageszeitung im Jahr 1968 war die Népszabadság (Volksfreiheit), die mit einer Auflage von 752 000 Stück von der Regierungspartei herausgegeben wurde. Weitere große überregionale Zeitungen waren die Népszava (Volksstimme), die das Organ der ungarischen Gewerkschaften darstellte, und die Magyar Nemzet (Ungarische Nation). Letztere wurde von der Patriotischen Volksfront herausgegeben, galt aber als progressivste ungarische Zeitung. Im Fokus dieses Artikels steht insbesondere die Népszabadság, aber auch die Népszava und die Magyar Nemzet werden stellenweise in die Analyse mit einbezogen.

 

Novotný tritt ab

Gerade einmal 60 Worte verwendete die Népszabadság am 6. Januar 1968 auf den Führungswechsel in der Tschechoslowakischen Kommunistischen Partei. Zwar erschien die Meldung auf der Titelseite, doch wurde das Ereignis nicht eingeordnet, sondern nur mitgeteilt, dass Novotný „auf eigenen Wunsch“ [1] das Amt des Vorsitzenden des Zentralkomitees niedergelegt habe. Sein Nachfolger Alexander Dubček wurde erst im letzten Satz erwähnt. In der Népszava schaffte es Novotnýs Absetzung nicht einmal auf die Titelseite; im Innenteil fand sich dann eine Meldung, die kaum mehr preisgab[2].

Erst einen Tag später, am 7. Januar 1968, veröffentlichte die Népszabadság weitere Informationen. Eine Notiz der Nachrichtenagentur Magyar Távirati Íroda (MTI, Ungarisches Telegraphisches Büro) fasste die Ergebnisse der Sitzung des Zentralkomitees in Prag zusammen und stellte Dubček als neuen Vorsitzenden vor. Die Wahl Dubčeks „trägt zur Kontinuität der Parteiführung bei“ [3], lautete die Einschätzung der Nachrichtenagentur. Über die Hintergründe von Novotnýs Rücktritt vom Amt des ZK-Vorsitzenden erfuhr der Leser allerdings nichts. An diesen Artikel schloss sich ein Lebenslauf Dubčeks an, in dem die Stationen seines politischen Werdegangs aufgezählt wurden.[4] Die sozialistische Presse druckte in allen Blockstaaten diesen Lebenslauf und stellte Dubček als aufrechten Kommunisten und loyalen Freund der UdSSR vor. Népszava und Magyar Nemzet hingegen berichteten am Folgetag bereits nicht mehr über die Wahl Dubčeks. Alle drei Zeitungen druckten indessen ein Grußtelegram ab, in dem János Kádár im Namen seiner Partei Dubček zum neuen Posten gratulierte und ihm seine besten Wünsche aussprach[5].

In den darauffolgenden Tagen brachte die Népszabadság immer wieder Agenturmeldungen der ungarischen MTI oder der russischen TASS über Dubčeks erste Amtshandlungen, die sich auf bloße Nacherzählungen seiner Reden oder seiner Treffen mit anderen sozialistischen Politikern beschränkten. Nichts in der ungarischen Presse dieser Zeit ließ darauf schließen, dass Dubček einmal den Sozialismus ins Wanken bringen würde.

 

Die Aufhebung der Zensur: Der erste Schritt

Die Aufhebung der Zensur am 4. März in der Tschechoslowakei wird häufig als Beginn des Prager Frühlings bezeichnet. Doch weder in der Népszabadság, noch in der Népszava oder der Magyar Nemzet finden sich im März Artikel, die darüber berichteten. Dabei veröffentlichte die Népszabadság durchaus Artikel zur Situation in der Tschechoslowakei: Einen Tag nach Aufhebung der Zensur gab sie eine Rede Dubčeks vor Stahlarbeitern wieder, in der dieser die wichtige Rolle der Arbeiterklasse betonte.[6] Am 7. März erschien eine Agenturmeldung über ein Treffen Dubčeks mit tschechoslowakischen Journalisten. Die kritischen Fragen der Journalisten wurden zwar kolportiert, aber die Aufhebung der Zensur wurden mit keinem Wort erwähnt.[7]

Ob die ungarischen Journalisten aufgrund einer Anweisung „von oben“ nicht über das Ende der Zensur schrieben, oder ob sie das Thema schlicht nicht als wichtig genug empfanden, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Der Historiker Hannes Lachmann, der die tschechische Sicht auf den Ungarnaufstand und die ungarische Perspektive auf den Prager Frühling untersucht hat, liefert aber Anhaltspunkte: Erst Mitte März verabschiedete die Regierung eine offizielle Medienrichtlinie zum Umgang mit den Reformen in der Tschechoslowakei. Ein offizieller Standpunkt wurde nicht vorgegeben, doch signalisierte die MSzMP, dass in Zukunft intensiver über die Prager Reformen berichtet werde. Die Parteispitze fürchtete, dass westliche Medien wie „Radio Free Europe“ das Informationsvakuum andernfalls füllen könnten. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die ungarischen Sozialisten der Abschaffung der Zensur durchaus skeptisch gegenüberstanden: So konnte die Zeitung Ùj szó (Neues Wort), das Organ der ungarischen Minderheit in der Slowakei, bis in den Frühling des Jahres 1968 auch in Ungarn gelesen werden. Doch nach der Aufhebung der Zensur wurde der Verkauf der Ùj szó in Ungarn verboten, vermutlich, um ein unkontrolliertes Übergreifen der Ideen des Prager Frühlings auf Ungarn zu verhindern. Dies lässt darauf schließen, dass die großen ungarischen Blätter die Entwicklungen im Nachbarland in ihrer Berichterstattung gezielt aussparten.

Dass die Presse in der Tschechoslowakei plötzlich deutlich mehr Freiheiten besaß, konnte der aufmerksame Leser allerdings zwischen den Zeilen herauslesen – wenn auch mit einiger Verspätung. Am 21. März veröffentliche der Chefredakteur der Népszabadság, János Gosztonyi, einen Reisebericht über seinen Aufenthalt in Prag.[8] Er schrieb: „Neben der Sympathie mit dem grundlegenden politischen Prozess – ich leugne es nicht – gab es bei mir ein gewisses Unbehagen“[9]. Was ihn genau beunruhigte, deutete er einige Zeilen darauf an: „[…] die Exzesse, die die grundsätzlich gesunden Bestrebungen begleiten. Diese Übertreibung, die jetzt Teil der tschechoslowakischen Presse ist“[10]. Gosztonyi spielte hier auf die neu gewonnen Freiheiten der Presse an, aber auch er nannte die Abschaffung der Zensur nicht beim Namen. Wie kritisch Gosztonyi den Reformprozess sah, wurde im weiteren Verlauf seines Artikels klar, als er mit den Reformern in Prag hart ins Gericht ging. Dubček und seine Anhänger begründeten ihre Politik damit, dass die Regierung unter dem abgelösten Ersten Parteisekretär Antonin Novotný Fehler gemacht habe, die jetzt korrigiert werden müssten. Dieses Argument ließ Gosztonyi nicht gelten, vielmehr witterte er eine gefährliche Parallele zu den ungarischen Entwicklungen im Jahr 1956: „Ohne Parallelen zu ziehen, sagte ich, dass es auch ein Teil unserer Partei und der Geschichte unseres Volkes ist, als wir mit unseren gesammelten Problemen, Fehlern und sogar Sünden konfrontiert wurden“[11]. Die Vergangenheit aufzuarbeiten könne explosive Dynamiken zur Folge haben, die letztendlich vielleicht nicht mehr zu kontrollieren seien. Gosztonyi sah so die tatsächlichen Entwicklungen einige Monate später voraus und stand bereits im Frühjahr 1968 den Reformen deutlich kritischer gegenüber als Parteichef Kádár.

 

Die Aufhebung der Zensur: Der zweite Schritt

Am 4. März 1968 wurde in der Tschechoslowakei die Zensur abgeschafft, so die landläufige Meinung. Doch eben nur de facto, die Änderung des Pressegesetzes erfolgte erst dreieinhalb Monate später. Über diesen offiziellen Schritt berichteten sowohl Népszabadság als auch Népszava und Magyar Nemzet, nachdem sie die Entwicklungen im März weitgehend unkommentiert gelassen hatten. Am 8. Juni veröffentlichten alle drei Zeitungen einen kurzen Artikel über die Sitzung des tschechoslowakischen Verfassungsrechtsausschusses, in der unter anderem die Regierung der offiziellen Abschaffung der Zensur zustimmte. Die Artikel ähnelten sich stark und enthielten sich jeder Wertung der Pläne der tschechoslowakischen Regierung. [12] In den darauffolgenden drei Wochen veröffentlichte die Népszabadság zwei weitere Artikel, in denen sie die weiteren Entwicklungen des tschechoslowakischen Pressegesetzes in sachlichem und nüchternem Stil schilderte. Das Für und Wider dieses Gesetzes erwogen ungarische Journalisten auch dann nicht, als einen Tag nach der Verabschiedung des Gesetzes am 26. Juni das „Manifest der 2000 Worte“ in der freien Presse der Tschechoslowakei erschien. Sowohl der MTI- und Népszabadság-Korrespondent in Prag, György Halasi, als auch Ferenc Várnai, der das Außenpolitik-Ressort der Népszabadság leitete, verurteilten das Manifest und bezeichneten es als Angriff auf den Sozialismus. Doch keiner der beiden brachte es in Zusammenhang mit dem Ende der Zensur.[13] Halasi argumentierte im Gegenteil sogar, Reformen wie die Aufhebung der Zensur lieferten den Beweis dafür, dass die Partei ihr Wort halte und die Kritik im „Manifest der 2000 Worte“ nicht gerechtfertigt sei.

Diese Artikel zeigen exemplarisch, dass die Medien differenziert spiegelten, welche Aspekte der Reformen die ungarische Regierung unterstützte. Die Wirtschaftsreformen und Rehabilitationen, die Halasi und Várnai positiv hervorhoben, wurden von der Regierung positiv gesehen, während Schritte wie die Abschaffung der Zensur oder die Entstehung zivilgesellschaftlicher Diskurse, die die ungarische Führung mit Beunruhigung beobachte, entweder übergangen oder nur in Nebensätzen erwähnt wurden.

 

Das unbeachtete Treffen in Čierna nad Tisou

Für viele Tschechen und Slowaken waren die Verhandlungen von Čierna nad Tisou mit großen Befürchtungen verbunden. Aus der Rückschau scheint es, als ob die Sitzungen bereits den Ausgang des Prager Frühlings besiegelten. Doch aus Perspektive der ungarischen Presse war das letzte Treffen zwischen Dubček und Brežnev vor der Invasion nur eine Randnotiz. Am 30. Juli meldeten Népszabadság, Népszava und Magyar Nemzet, dass die Gespräche zwischen der KPdSU und der KSČ begonnen hätten, und führten alle Teilnehmer namentlich auf. Informationen, was dort verhandelt werden sollte, fehlten[14]. Am 1. August übernahmen alle drei Zeitungen eine kurze Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS, der zufolge die Verhandlungen fortgesetzt wurden. Weiter hieß es nur, dass „die Diskussion von einer aufrichtigen Kameradschaft geprägt [gewesen sei]“, der Inhalt der Verhandlungen blieb im Dunkeln.[15] Auch das offizielle Abschlusskommuniqué, welches alle drei Tageszeitungen am 2. August abdruckten, enthielt keine konkreten Informationen, sondern lobte nur die von „Offenheit, Ehrlichkeit und gegenseitigem Verständnis“[16] geprägte Atmosphäre.

 

Das Ende des Prager Frühlings

Ungarn feierte seinen Nationalfeiertag, als in der Nacht zum 21. August die sowjetischen Panzer in Prag einrollten. Aufgrund dieses Feiertages erschienen am 20. und 21. August keine Tageszeitungen, so dass der Einmarsch erst mit einem Tag Verspätung vermeldet wurde. Trotz dieser eintägigen Bedenkzeit zeigten sich die ungarischen Tageszeitungen sehr unsicher, wie sie den Einmarsch der Sowjetunion in Prag kommentieren sollten. Die ungarischen Medien verfolgten eine „Vogel-Strauß-Politik“, wie Lachmann es nennt.[17] Um keine Stellung beziehen zu müssen, steckten die Journalisten sprichwörtlich den Kopf in den Sand und vermieden jegliche Meinungsäußerung. Die Népszabadság druckte, ebenso wie die Magyar Nemzet und die Népszava, den vermeintlichen Einladungsbrief der Tschechoslowakei an die Truppen des Warschauer Paktes prominent platziert auf der Titelseite ab – neben einem Bericht, der die Feiern zum Nationalfeiertag schilderte. Bilder aus Prag wurden nicht gezeigt. Anstatt eigene Analysen zu veröffentlichen, übernahmen die ungarischen Journalisten das sowjetische Deutungsmuster, demzufolge die Tschechoslowakei Opfer der imperialistischen Propaganda aus dem Westen geworden sei und der brüderlichen Hilfe seiner Verbündeten bedurft hätte. Dazu kam die Weisung des Zentralkomitees an die Journalisten, ausschließlich positiv über den Einmarsch in Prag zu berichten und nicht über Phänomene wie den massiven Widerstand der Bevölkerung zu schreiben. Da es keine Nachrichten aus der Tschechoslowakei gab, die die Behauptung gestützt hätten, dass die Bürger den Einmarsch befürworteten, übernahmen die ungarischen Journalisten direkt die sowjetischen Agenturmeldungen.

 

Der Fall Dubčeks in der Presse

In den acht Monaten der hier analysierten Presseberichterstattung in Ungarn – von der Wahl Dubčeks im Januar bis zum Einmarsch im August – spielte die Reformpolitik in der Tschechoslowakei in der ungarischen Presse keineswegs eine herausragende Rolle. Der Großteil der untersuchten Artikel bestand aus ungarischen und russischen Agenturmeldungen, die nüchtern die Ereignisse wiedergaben. Dubček wurde weder als großer Reformer noch als Bedrohung für den Sozialismus dargestellt, der Fokus lag mehr auf der gesamten Partei als auf ihm persönlich. Die ungarische Regierung betrachtete ihn zwar ab dem frühen Sommer durchaus als Bedrohung, doch findet diese Einschätzung keinen Niederschlag in der Presse. So bezogen Várnai und Halasi in ihren Beiträgen zur Veröffentlichung des Manifests der 2000 Worte für die Népszabadság zwar Stellung zu den Reformen, doch auch sie griffen Dubček nicht persönlich an.

 

Der unbeachtete Sprung

Offen bleibt schließlich die Frage, warum die im Vergleich recht liberale ungarische Presse sich dem Prager Frühling nur zögerlich näherte. Die Vermutung liegt nahe, dass die Erinnerung an das Jahr 1956 die Journalisten davon abhielt, Stellung zu beziehen. Doch tiefergehende Analysen, wie die von Hannes Lachmann, belegen diese Hypothese nicht.

Die Berichterstattung über die Abschaffung der Zensur und das Treffen in Čierna nad Tisou zeigt auch, dass die Ereignisse, die in Retrospektive als Wendepunkte des Prager Frühlings angesehen werden, von zeitgenössischen Beobachtern eher als irrelevant eingestuft wurden. So wie das Jahr 1968 in seiner Gesamtheit in Ungarn ein unauffälliges war, so blieb auch die Presseberichterstattung über die Ereignisse in der Tschechoslowakei blass. Obwohl die Berichterstattung in Ungarn weniger reißerisch als die der DDR war, orientierten sich die ungarischen Journalisten an der Linie Moskaus und entwickelten keine eigene ungarische Dynamik.

 

Verwendete Literatur:

Békés, Csaba, “Hungary and the Prague Spring” in: Günter Bischof, Stefan Karner & Peter Ruggenthaler (Hrsg.), The Prage Spring and the Warsaw Pact Invasion of Czechslovakia in 1968, Plymouth 2010, 371-396.

Gulyás, Ágnes, “Communist Media Economics and the Consumers. The Case of the Print Media of East Central Europe” in: International Journal on Media Management 2001, Nr. 3 /2, 74-81.

Horváth, Atilla, A magyar sajtó története a szovjet típisú diktatúra idején, Budapest 2013.

Lachmann, Hannes, Die „Ungarische Revolution“ und der „Prager Frühling“. Eine Verflechtungsgeschichte zweier Reformbewegungen zwischen 1956 und 1968, Essen 2018.

Steinberg, Sigfrid H. (Hrsg.), The Stateman`s Year-Book 1968-1969: The One-Volume Encyclopaedia of all nations. New York 1968.

 

Endnoten:

[1] „Antonin Novotny — akit saját kérésére felmentettek a CSKP KB első titkárának tisztsége alól“ in: A Csehszlovák Kommunista Párt Központi Bizottságának határozata, in: Népszabadság, 06.01.1968, 1.

[2] Alexander Dubcek a CSKP KB új első titkára, in: Népszava, 06.01.1968, 5.

[3] „Dubcek megválasztásával a központi bizottság fenntartja a pártirányítás folyamatosságát“ in: MTI, Ülést tartott a Csehszlovák Kommunista Párt Központi Bizottsága, in: Népszabadság, 07.01.1968, 3.

[4] Alexander Dubcek, in: Népszabadság, 07.01.1968, 3.

[5] Kádár János távirata a CSKP KB első titkárához, in: Magyar Nemzet, 07.01.1968, 3; Népszabadság, 7.1.1968, 3; Népszava, 07.01.1968, 5.

[6] MTI, Dubcek: A demokrácia fejlesztésével vonzóbbá tesszük a szocializmust, in: Népszabadság, 05.03.1968, 4.

[7] MTI, Alexander Dubcek nyilatkozata csehszlovák újságíróknak, in: Népszabadság, 07.03.1968, 2.

[8] Gosztonyi, János, Prágai beszélgetések, in: Népszabadság, 26.03.1968, S.2.

[9] „Az alapvető politikai folyamat iránti szimpátia mellett - nem tagadom - bizonyos nyugtalanság is élt bennem, mikor kiérkeztem.“ in: Gosztonyi, János, Prágai beszélgetések, in: Népszabadság, 26.03.1968, 2.

[10] „Az egyik ilyen: az alapvetően egészséges törekvéseket kísérő túlzások. Ilyen túlzás, amit most a csehszlovák sajtó egy része rajtunk reklamál.“ in: Gosztonyi, János, Prágai beszélgetések, in: Népszabadság, 26.03.1968, 2.

[11] „Természetesen minden párhuzamba állítás nélkül mondtam el, hogy volt a mi pártunk és népünk történetének is egy olyan szakasza, amikor nekünk is szembe kellett néznünk felhalmozódott bajokkal, hibákkal, sőt bűnökkel.“ in: Gosztonyi, János, Prágai beszélgetések, in: Népszabadság, 26.03.1968, 2.

[12] MTI, A csehszlovák kormány intézkedésel, in Népszabadság, 08.06.1968, 4;  A csehszlóvak kormány ülése, in: Népszava, 08.06.1968, 5; MTI, A csehszlóvak kormány ülése, in: Magyar Nemzet, 08.06.1968, 5.

[13] Halasi, György: A CSKP KB elnökségének állásfoglalása a szozialista rendszer elleni támadásról, in: Népszabadság, 29.06.1968, 3; Várnai, Ferenc, Kétszínű játék, kétezer szóval, in Népszabadság, 30.06.1968, 4.

[14] MTI, Megkezdődtek a tárgalások az SZKP Politikai Bizottsága és a CSKP KB Elnöksége között, in: Nèpszabadság, 30.07.1968, 1; CTK, Megkezdődtek az SZKP Politikai Bizottsága és a csehszlovák pártelnökség megbeszélései, in: Népszava, 30.07.1968, 1; Megkezdődtek a szovjet—csehszlovák megbeszélések, in Magyar Nemzet, 30.07.1968, 1.

[15]„A tanácskozást őszinte elvtársi légkör jellemezte.“ in: TASS, Szerdán folytatták a szovjet-csehszlovák tárgyalásokat, in: Népszabadság, 01.08.1968, 1; TASS, A szovjet-csehszlovák tárgyalásokat, in: Népszava, 01.08.1968, 1; A TASZSZ az ágcsernyői találkozó szerdai napjáról, in: Magyar Nemzet, 01.08.1968, 1.

[16] „Az ágcsemyői találkozót a teljes nyíltság, őszinteség és a kölcsönös megértés légköre jellemezte.“ in: Közös közlemény az SZKP KB Politikai Bizottságának és a CSKP KB elnökségének találkozójárói, in: Népszabadság, 02.08.1968, 1; Népszava, 02.08.1968, 1; Magyar Nemzet, 02.08.1968, 1.

[17] Lachmann, Hannes, Die „ungarische Revolution“ und der „Prager Frühling“, 350.

Glossar:

Čierna nad Tisou

Čierna nad Tisou – ist eine slowakische Kleinstadt im Dreiländereck zwischen der Slowakei, der Ukraine und Ungarn. Vom 29. Juli bis zum 1. August 1968 fanden in der Grenzstadt zwischen der Tschechoslowakei und der Sowjetunion bilaterale Verhandlungen zwischen Vertretern des sowjetischen Politbüros und der tschechoslowakischen Regierung statt. Zu den Teilnehmern gehörten unter anderem Leonid Brežnev, Alexej Kossygin, Nikolaj Podgorny, Alexander Dubček und Ludvík Svoboda. Für die Sowjetunion waren die Verhandlungen der letzte Versuch, dem Prager Frühling und Dubčeks Reformkurs ohne Anwendung von Gewalt Einhalt zu gebieten. Den beiden Seiten gelang, in Čierna nad Tisou zumindest eine kurzfristige Einigung zu erreichen, die wenig später in Bratislava ratifiziert wurde.

Verwendete Literatur:

Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt. Stuttgart 2018, 271-280.

Dubček, Alexander

Alexander Dubček (1921-1992) – war ein tschechoslowakischer Politiker und eine der zentralen Figuren des Prager Frühlings. Dubček wuchs größtenteils in der UdSSR auf, wo sein Vater im Rahmen der „Internationalen Arbeiterhilfe“ als Tischler tätig war. In den 1930er Jahre machte er eine Ausbildung zum Schlosser. 1939 trat er der illegal gegründeten Kommunistischen Partei der Slowakei (Komunistická strana slovenska – KSS) bei und war im antifaschistischen Widerstand tätig. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann sein Aufstieg innerhalb der KSČ. 1958 vollendete er sein Studium an der Parteihochschule des Zentralkomitees (ZK) der KPdSU in Moskau mit Auszeichnung. Danach studierte er an der juristischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava und beschloss sein Studium mit einer sozialwissenschaftlichen Dissertation.

Am 6. Januar 1968 wurde er zum neuen Ersten Sekretär des ZK der KSČ gewählt und avancierte in der ersten Hälfte des Jahres 1968 zur Symbolfigur des Prager Frühlings. Nach dessen Niederschlagung wurde er nach Moskau verschleppt und gezwungen das "Moskauer Protokoll", das alle Reformprozess in der ČSSR beenden sollte, zu unterschreiben.

Im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter distanzierte er sich nie von seinem Engagement für den Reformsozialismus. Aus der KSČ wurde er ausgeschlossen. Daraufhin war er als Aufsicht im Fuhrpark eines Forstbetriebs in Bratislava tätig, wo er bis zu seiner Pensionierung 1986 arbeitete.

Dubček unterstützte 1989 die Protestbewegung und den demokratischen Umbruch. Dass danach keine zentrale Rolle mehr spielte, lag auch daran, dass seine Person in den Augen vieler Menschen zu stark mit dem Kommunismus verknüpft war. Dennoch wurde er Parlamentspräsident, trat allerdings im Juli 1991 zurück, da er die slowakischen Abspaltungsbestrebungen nicht unterstützte.

Dubček starb am 7. Oktober 1992 an den Folgen eines Autounfalls.

Verwendete Literatur:

„Dubček, Alexander“ in: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv, zuletzt abgerufen von Bayerische Staatsbibliothek Bestandsentwicklung und Erschließung 2 am 31.8.2018.

Gulaschkommunismus

Gulaschkommunismus – ist die umgangssprachliche Bezeichnung des System, unter János Kádár in Ungarn entstand. Kádár leitete Mitte der 1960er Jahre Reformen ein, die begrenzte privatwirtschaftliche Aktivitäten und Reisen ins westliche Ausland ermöglichten. Die Zensur wurde gelockert, die Wirtschaft fokussierte sich weniger auf die Produktion von Industriegütern und stellte verstärkt Konsumgüter her. Einhergehend mit starken Lohnsteigerungen führten diese Reformen zur Verbesserung des Lebensstandards und zur Herausbildung einer Konsumgesellschaft. Gleichzeitig kam es zu einer politischen und kulturellen Liberalisierung, die beispielsweise politische Satire über die stalinistische Rákosi-Diktatur erlaubte. Hiervon war allerdings der Ungarnaufstand ausgeschlossen, der weiterhin strikt als Konterrevolution bezeichnet wurde.

Verwendete Literatur:

Klimó, Árpád von, Ungarn seit 1945, Göttingen 2006.

Kádár, János

János Kádár (1912-1989) – war ein ungarischer Politiker und über 30 Jahre Generalsekretär der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei. Kádár wurde im heutigen Rijeka geboren und schloss sich bereits mit 17 Jahren der kommunistischen Bewegung an. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Kádár Mitglied des ungarischen Politbüros und später Innenminister. 1951 wurde er seiner Ämter enthoben,  1952 aufgrund von Spionagevorwürfen zu lebenslanger Haft verurteilt. Erst ein Jahr später rehabilitierte ihn Imre Nagy. Kádár war maßgeblich an der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstands im Jahr 1956 beteiligt, da er militärische Hilfe von der Sowjetunion erbat. Nach der vereitelten Revolution wurde Kádár als Generalsekretär eingesetzt, er blieb bis 1988 im Amt. Seine Regierungszeit war anfangs von Repressionen geprägt, später schlug Kádár einen deutlich liberaleren Kurs ein. Kádár gilt als Begründer des sogenannten „Gulaschkommunismus“, der wirtschaftlichen Reformen ab den 1960er Jahren, die Ungarn zu wachsendem Wohlstand bei politischem Stillhalten der Bevölkerung führte. Kádár verfolgte diesen Kurs bis in die 1980er Jahre, zeigte sich der Sowjetunion gegenüber aber stets loyal. Kádár trat im Mai 1988 vom Amt des Generalsekretärs zurück und starb ein Jahr später.

Verwendete Literatur:

Klimó, Árpád von, Ungarn seit 1945, Göttingen 2006.

Komunistická strana Československa

Komunistická strana Československa (KSČ) [Kommunistische Partei der Tschechoslowakei] – war in den Jahren 1948 bis 1989 alleinige Regierungspartei in der Tschechoslowakischen Republik. Die Partei gründete sich im Mai 1921 durch die Abspaltung von der Tschechoslowakischen Sozialdemokratischen Partei (ČSSD). 1929 erfolgte die Stalinisierung. Während des Zweiten Weltkriegs war die KSČ verboten, arbeitete aber illegal weiter und stellte ein Zentrum der Widerstandsbewegung dar. Das brachte ihr nach Kriegsende viele Sympathien ein, so war sie die stärkste Kraft der 1945 gegründeten Nationalen Front und erhielt in den Wahlen von 1946 den größten Stimmenanteil. Im Februar 1948 setzte die die KSČ ihr Machtmonopol durch, es begann eine Phase der Verfolgung und Schauprozesse. 1968 strebte die KSČ unter der Führung von Alexander Dubček eine eigene Form des Sozialismus an. Die sowjetische Führung betrachtete dieses reformsozialistische Experiment als konterrevolutionär. Nach der militärischen Intervention im August 1968 wurde eine konservative, Moskau-treue Parteiführung unter Gustáv Husák eingesetzt, die einen Prozess der „Normalisierung“ einleitete. Das Machtmonopol der KSČ wurde am 17. November 1989 durch die Samtene Revolution beendet. Die heutige Nachfolgeorganisation der KSČ in Tschechien ist die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens KSČM.

Verwendete Literatur:

Malíř, Jiří & Pavel Marek (Hrsg.), Politické strany. Vývoj politických stran a hnutí v českých zemích a Československu 1861-2004 [Politische Parteien. Entwicklung der politischen Bewegungen in Böhmischen Ländern und der Tschechoslowakei 1861-2004] Bd. 2. Brno 2005.

Kommunističeskaja Partija Sovjetskogo Sojusa

Kommunističeskaja Partija Sovjetskogo Sojusa (KPSS) [Kommunistische Partei der Sowjetunion, KPdSU] – war die regierende Partei der Sowjetunion. Sie ging 1925 aus der seit 1918 existierenden Kommunistischen Partei Russlands (Bolschewiki) hervor und verfolgte das Ziel, die marxistisch-leninistische Ideologie zu verwirklichen. Die KPdSU war eine Kaderpartei, die sich nach den Grundsätzen des sogenannten demokratischen Zentralismus organisierte. Höchstes Parteiorgan war der Parteitag, der das Zentralkomitee als Leitorgan für fünf Jahre wählte. Aus diesem gingen die beiden höchsten Entscheidungsgremien, das Politbüro und das Sekretariat des ZK, hervor. Das Machtmonopol der KPdSU wurde 1990 aufgehoben, nach dem Putschversuch vom August 1991 wurde die Partei verboten.

Verwendete Literatur:

„Kommunistische Partei der Sowjetunion“ in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 12, Kir-Lag, Mannheim 1990.

„Tschistka“ in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 22, Tep-Ur, Mannheim 1993.

Magyar Szocialista Munkáspárt

Magyar Szocialista Munkáspárt (MSzMP) [Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei] – war eine politische Partei in der Ungarischen Volksrepublik. Sie entstand im Jahr 1956 nach der Niederschlagung des Ungarnaufstands, als ihre Vorgängerpartei, die Partei der Ungarischen Werktätigen, umbenannt wurde. Sie war die regierende kommunistische Partei des Landes. Nach dem Systemwechsel im Jahr 1989 wurde die Partei in Ungarische Sozialistische Partei (Magyar Szocialista Párt) umbenannt und richtete sich eher sozialdemokratisch aus.

Verwendete Literatur:

Klimó, Árpád von, Ungarn seit 1945, Göttingen 2006.

Magyar Távirati Iroda

Magyar Távirati Iroda (MTI) – bezeichnet die im Jahr 1880 gegründete ungarische Nachrichtenagentur. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unter die Kontrolle der kommunistischen Regierung gestellt und war die einzige Nachrichtenagentur in der Ungarischen Volksrepublik. Die MTI bereitete die Nachrichten auf, die ihr von der Partei übermittelt wurden und leitete außerdem Nachrichten ausländischer Dienste, die im Vorfeld selektiert wurden, an die Redaktionen weiter. 

Verwendete Literatur:

Klein, Judit, Die Geschichte und Funktion der deutschsprachigen Minderheitenmedien in Ungarn im Sozialismus, Budapest 2015.

Manifest der 2000 Worte

Manifest der 2000 Worte – auch: „Zweitausend Worte, die an Arbeiter, Landwirte, Beamte, Künstler und alle gerichtet sind“ [Dva tisíce slov, které patří dělníkům, zemědělcům, úředníkům, umělcům a všem] war ein Manifest, das eine radikalere Fortsetzung der Reformbewegung forderte. Es sprach die Verbrechen offen an, die während des Stalinismus verübt worden waren und kritisierte die Kommunistische Partei (KSČ) für ihre zögerliche Haltung im Reformprozess. Verfasst wurde es auf Anregung von Mitarbeitern der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, u.a. Otto Wichterle, von dem Schriftsteller Ludvík Vaculík. Das Manifest erschien mit einer Liste von Erstunterzeichnern am 27. Juni 1968 nicht nur in der Zeitschrift Literární listy (Literarische Blätter), sondern auch in den Tageszeitungen Lidové noviny (Die Volkszeitung), Práce (Die Arbeit), Mladá fronta (Die Junge Front) und Zemědělské noviny (Landwirtschaftliche Zeitung) und löste vehemente Reaktionen in der Bevölkerung aus. Die KSČ lehnte es ab, auch weil die Reformer es als Gefahr für ihre Politik sahen. Die Gegner der Reform sahen das Manifest wiederum als konterrevolutionäres Dokument an. In den Augen der sowjetischen Führung offenbarte seine Veröffentlichung, dass die KSČ die Kontrolle über die öffentliche Meinung verloren hatte.

Verwendete Literatur:

Schulze Wessel, Martin, Der Prager Frühling. Aufbruch in eine neue Welt, Stuttgart 2018.

Novotný, Antonín

Antonín Novotný (1904-1975) – war ein tschechoslowakischer kommunistischer Politiker, Generalsekretär der KSČ und von 1957 bis 1968 zugleich der Präsident der Tschechoslowakei. Er stammte aus einer Prager Arbeiterfamilie. 1921 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Kommunistischen Partei in der Tschechoslowakei. Von 1941 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs war er im Konzentrationslager Mauthausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung wurde er Mitglied des Zentralkomitees der KSČ und folgte Klement Gottwald 1953 im Amt des Ersten Sekretärs. In den 1960er Jahren wuchs die Kritik an seiner rigiden Politik und seiner Person. Am 5. Januar 1968 wurde er als Parteichef von Alexander Dubček abgelöst. Am 22. März musste er auch von seinem Präsidentenamt zurückzutreten. Sein Nachfolger war der General Ludvík Svoboda. Im Juni gab er unter Druck auch seine Position im Zentralkomitee der KSČ auf und zog sich aus dem politischen Leben zurück. Während der Normalisierung wurde seine Mitgliedschaft im Zentralkomitee zwar erneuert, Novotný erreichte aber keinen nennenswerten Einfluss mehr.

Verwendete Literatur:

Jan Rataj (Hrsg.), Československo v proměnách komunistického režimu [Die Tschechoslowakei im Wandel des kommunistischen Regimes]. Praha 2010.

Radio Free Europe

Radio Free Europe – auch Radio Liberty genannt, wurde während des Kalten Krieges gegründet, um unzensierte Informationen an das Publikum hinter dem „Eisernen Vorhang“ zu bringen. Heute berichten Journalisten aus 20 Ländern, in denen die Pressefreiheit eingeschränkt ist, für den vom amerikanischen Kongress finanzierten Radiosender.

Verwendete Literatur:

Bischof, Anna: Voices of Freedom - Western Interference? 60 years of Radio Free Europe, Göttingen 2015.

Telegrafnoe agentstvo Sovetskogo Sojuza

Telegrafnoe agentstvo Sovetskogo Sojuza (TASS) [Telegrafenagentur der Sowjetunion] – ist eine im Jahr 1904 gegründete Nachrichtenagentur, die in der Sowjetunion und im heutigen Russland ansässig war bzw. ist. Während der kommunistischen Zeit war die TASS die einzige Nachrichtenagentur in der Sowjetunion, die Nachrichten ausländischer Dienste verbreiten durfte.

Verwendete Literatur:

TASS History, zuletzt abgerufen am 16.08.2018.

Ungarnaufstand

Ungarnaufstand – bezeichnet die am 23. Oktober 1956 begonnene Rebellion des ungarischen Volkes gegen die kommunistische Herrschaft. Sie hielt bis zum 10. November 1956 an. Die Anfänge der u.a. auch als „Ungarischer Volksaufstand“ bekannten Revolution reichten bis in das Jahr 1953, das Jahr des Todes Stalins, zurück. Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Mátyás Rákosi, der in Ungarn seit 1949 eine stalinistische Diktatur errichtet hatte, musste das Amt des Ministerpräsidenten an den liberaler eingestellten Imre Nagy abgeben. Dieser führte eine Reihe wirtschaftlicher und politischer Reformen durch, die den Lebensstandard in Ungarn erhöhten. Im Jahr 1955 unterlag Nagy im Machtkampf mit der stalinistischen Gruppe um Rákosi und wurde all seiner Ämter enthoben. Nachdem im Februar 1956 jedoch Chruščëvs Geheimrede bekannt wurde, in der er die stalinistischen Verbrechen kritisierte, wurden auch in Ungarn die Rufe nach einer Liberalisierung lauter. Zwar wurde Rákosi als Vorsitzender der Kommunistischen Partei abgesetzt, doch konnte dies die Unzufriedenheit im Land nicht mindern. Als Studenten auf einer genehmigten Demonstration am 23. Oktober 1956 in Budapest ihre Solidarität mit dem Arbeiteraufstand in Posen ausdrücken wollten, schlossen sich immer mehr Menschen an, um für Meinungs- und Pressefreiheit, freie Wahlen und die Wiedereinsetzung Imre Nagys als Ministerpräsident zu demonstrieren. Am Abend standen 200 000 Menschen vor dem ungarischen Parlament und Imre Nagy wurde erneut zum Ministerpräsidenten berufen. In den folgenden Tagen griff der Aufstand auf das ganze Land übe. Der wiederernannte Ministerpräsident Imre Nagy bildete eine Mehrparteienregierung und erklärte die Neutralität Ungarns und den Austritt aus dem Warschauer Pakt. Die Sowjetunion akzeptierte diese Entscheidung allerdings nicht. Am 1. November 1956 marschierte die Rote Armee in Ungarn ein und schlug den Aufstand nieder. In den folgenden drei Wochen kam es zu andauernden Kämpfen zwischen dem sowjetischen Militär und ungarischen Widerstandsgruppen. Mehr als 3000 Menschen starben bei den Kämpfen. Imre Nagy wurde am 22. November 1956 verhaftet und anderthalb Jahre später in Ungarn hingerichtet.

Verwendete Literatur:

Lachmann, Hannes, Die „Ungarische Revolution“ und der „Prager Frühling“. Eine Verflechtungsgeschichte zweier Reformbewegungen zwischen 1956 und 1968, Essen 2018.

Warschauer Pakt

Warschauer Pakt – gegründet am 14. Mai 1955 unter der Bezeichnung „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ und auch Warschauer Vertragsorganisation genannt. Der Vertrag trat am 4. Juni 1955 in Kraft. In ihm sicherten ie kommunistischen Mitgliedsstaaten Albanien, Bulgarien, DDR, Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn einander gegenseitige militärische Unterstützung zu. Damit stellte der Warschauer Parkt eine Gegenallianz zur westlichen North Atlantic Treaty Organization (NATO) dar. Formaljuristisch waren alle Mitglieder gleichberechtigt, de facto hatte die Sowjetunion das militärische Oberkommando. Diese nutzte den Vertrag auch zur Stationierung von Truppen in den Mitgliedsstaaten, um die eigenen Interessen dort besser durchsetzen zu können. Der Warschauer Pakt bestand bis 1991.

Verwendete Literatur:

„Warschauer Pakt“ in: Brockhaus Online.