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„Die angeheizte Lokomotive der Revolution ist von Petrograd abgefahren. Wir wissen nicht, wann sie ankommt, aber es wird Aufgabe jeder sozialdemokratischen Partei sein, an diese Lokomotive ihren eigenen großen Waggon anzukoppeln.“[1]
So reflektierte Sandor Garbai, der spätere Vorsitzende der ungarischen Räteregierung, bereits im November 1917, also wenige Wochen nach dem Oktoberumsturz der Bolschewiki, die Bedeutung des russischen Faktors für die europäischen Sozialdemokratien.
Die folgenden Ausführungen sollen die Frage behandeln, welche Auswirkungen die Oktoberrevolution in Russland auf andere Länder Europas hatte beziehungsweise haben sollte. Insbesondere geht es darum, auf europäische Verflechtungen im Zeichen der sozialistischen Revolution hinzuweisen. Zuvor soll jedoch nochmals zeitlich etwas zurückgegriffen werden.
Auch nach der Februarrevolution, die Mitten im Ersten Weltkrieg ausgebrochenen war und das Ende der Zarenherrschaft in Russland bedeutete, kam das Reich nicht zur Ruhe. Die Provisorische Regierung konnte weder die äußerst prekäre Versorgungslage verbessern, noch war sie imstande oder gewillt, den Krieg zu beenden. Dies trug zu einer weiteren Radikalisierung in der Bevölkerung und einer zunehmenden politischen Destabilisierung bei.
Lenin, der Führer der Bolschewiki, der mit deutscher Hilfe aus dem Exil nach Russland zurückgekehrt war, erkannte die sich dadurch bietende Chance und drängte seine Partei mit einer entschiedenen Unbedingtheit und im Widerspruch zur marxistischen Theorie zum bewaffneten Aufstand gegen das Februarregime. Im Oktober 1917 lag die Macht regelrecht auf der Straße und Lenin musste sie nur auflesen. In der Nacht zum 25. Oktober 1917 gelangten die Bolschewiki im Zuge eines Staatsstreichs an die Macht. Was später jährlich als die Große Sozialistische Oktoberrevolution gefeiert werden sollte, schien für die meisten Zeitgenossen zunächst nur eine weitere kurze Episode im revolutionären Chaos zu sein.
So gut wie niemand glaubte daran, dass die Herrschaft der Bolschewiki von Dauer sein würde. „,Kalifen für eine Stunde‘, lautete das Urteil der meisten Presseorgane.“[2] Ein Großteil der politischen Beobachter gab ihnen nur wenige Wochen. Und selbst die Bolschewiki um Lenin gingen davon aus, dass ihre Macht in Russland nur dann Bestand haben würde, wenn sich die sozialistische Revolution nach dem Vorbild des Roten Oktober in ganz Europa, allen voran in Deutschland, verbreiten würde. Insofern hofften die Bolschewiki auch im eigenen Interesse auf eine baldige Ausweitung der Oktoberrevolution zu einer Weltrevolution bzw. auf eine Umwandlung des imperialistischen Weltkrieges in einen europäischen Bürgerkrieg.[3]
Die Hoffnung der Bolschewiki war zu diesem Zeitpunkt keineswegs unrealistisch. Tatsächlich war das letzte Kriegsjahr in ganz Europa geprägt von Massenprotesten gegen Krieg und soziales Elend.[4] Ende Januar 1918 kam es in Deutschland zu einem Massenstreik der Arbeiter, an dem bis zu einer Million Menschen beteiligt war. Einer der Führer dieses Streiks in München war ein gewisser Kurt Eisner von den Unabhängigen Sozialdemokraten, der von der Polizei als „geistiger Leiter und Organisator der Ausstandsbewegung“ festgenommen und für achteinhalb Monate inhaftiert wurde. Nur wenige Monate später sollte Eisner den Freistaat Bayern ausrufen.
Ereignisse wie der Massenstreik der Arbeiter nährten nicht nur bei den Bolschewiki den Optimismus, dass eine europaweite Ausbreitung ihrer Revolution unmittelbar bevorstünde. Auch in gewissen linken Kreisen im Westen hoffte man, dass es zu einer radikalen politischen Umgestaltung des eigenen Staates nach bolschewistischem Vorbild kommen würde. In dieser Beziehung sei nochmals an die eingangs zitierte Äußerung Sandor Garbais erinnert.
Gleichzeitig schürten aber der Staatsstreich der Bolschewiki und ihr zunehmender Terror gegen politische Gegner bei vielen Menschen in Mittel- und Westeuropa die Furcht vor einer Ausbreitung des bolschewistischen Revolutionsmodells.
Die Ausdehnung der sozialistischen Revolution, von der sich die Bolschewiki die Stabilisierung ihrer eigenen Herrschaft in Russland erhofften, blieb jedoch zunächst aus. Angesichts der militärischen Überlegenheit der Mittelmächte, also Deutschlands und Österreich-Ungarns, waren die Bolschewiki im März 1918 gezwungen, den Sonderfrieden von Brest-Litovsk zu unterzeichnen. In den Augen Lenins verschaffte dieser Frieden, der für Russland empfindliche Gebietsverluste bedeutete, die so dringend benötigte Atempause, um die Macht der Bolschewiki im Inneren zu konsolidieren.
Auch nach dem Abschluss des Friedens von Brest-Litovsk setzten die Bolschewiki weiterhin all ihre Hoffnung in eine Revolutionierung Mittel- und Westeuropas. So verlangte Lenin am 1. Oktober 1918 von seinem Parteigenossen Jakov Sverdlov, dass bis zum Frühjahr 1919 eine drei Millionen starke Armee „für die Unterstützung der internationalen Arbeiterrevolution“ bereitstehen solle. Es ging also um nichts weniger als den möglichst raschen Export des Roten Oktober in andere Staaten Europas.
Schließlich brach in den Tagen zwischen dem 7. und 9. November 1918 in Deutschland tatsächlich die von Lenin und seinen Bolschewiken so sehnlichst erwartete Revolution aus. Als erstes wurde die bayerische Dynastie der Wittelsbacher zur Abdankung gezwungen, schließlich auch die der Hohenzollern und anderer deutscher Monarchien. Anstelle der Monarchien wurden überall Republiken ausgerufen, in Bayern der Freistaat vom Unabhängigen Sozialdemokraten Kurt Eisner. Laut seiner Frau war Lenin in den Tagen der deutschen Revolution so glücklich wie selten in seinem Leben.
Allerdings hatten sich die Mehrheitssozialdemokraten um Ebert und Scheidemann von Beginn an darum bemüht, die Revolution einzudämmen. Dies veranlasste sie letztlich dazu, ein Bündnis mit den alten Eliten, vor allem dem Militär, einzugehen. Wie auch in anderen europäischen Staaten war es das Ziel der gemäßigten, vom „Revisionismus“ geprägten Sozialdemokratie, mit aller Macht eine Revolution nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki zu verhindern. In dieser Hinsicht wusste sich die deutsche Mehrheitssozialdemokratie nicht nur einig mit den konservativeren Kräften im eigenen Land, sondern auch mit den westlichen Alliierten und bisherigen Kriegsgegnern Großbritannien und Frankreich. Nachdem diese bereits im Russischen Bürgerkrieg zugunsten der Gegner der Bolschewiki, der sogenannten Weißen, interveniert hatten, machten sie auch in der Folgezeit deutlich, dass sie eine Ausbreitung der Oktoberrevolution nach Mitteleuropa keinesfalls hinnehmen würden.
Angesichts des Umstandes, dass die deutsche Novemberrevolution letztendlich „steckenblieb“, radikalisierte sich der enttäuschte linke Flügel der deutschen Arbeiterbewegung. Dessen Sympathien für Sowjetrussland und für das radikale bolschewistische Modell nahmen in der Folgezeit stark zu. Ende 1918 spaltete sich der Spartakusbund von den Unabhängigen Sozialdemokraten ab und gründete die Kommunistische Partei Deutschlands, kurz KPD, die eine enge Anlehnung an Lenins Bolschewiki suchte. Dabei zeigte sich zum Teil, dass man von den Bolschewiki nicht nur ihre Form der Rätediktatur übernehmen wollte, sondern auch deren Methoden. Im Widerspruch zu Rosa Luxemburgs Ablehnung eines revolutionären Terrors erklärte beim Gründungsparteitag der im Russischen Reich geborene Max Levien, der an der ersten Russischen Revolution von 1905 beteiligt war, dass die Bolschewiki „höchstens Konterterror“ praktizierten. Insofern wäre er der erste, „der bereit ist, wenn ein Revolutionstribunal Scheidemann und Ebert zum aufknüpfen verurteilt, Bravo zu rufen“.[5]
Wie sehr sich die Stimmung in Teilen der Arbeiterschaft radikalisierte, zeigte auch der sogenannte „Spartakus-Aufstand“ im Januar 1919, der sich aus einer Massendemonstration gegen die Entlassung des Berliner Polizeipräsidenten entwickelt hatte. Auch wenn Lenin zu dieser Zeit davon ausging, dass die Situation in Deutschland unweigerlich in einen Bürgerkrieg münden und damit letztlich zum Sieg der sozialistischen Revolution führen würde, gab er sein Vorhaben auf, in Berlin die Kommunistische Internationale zu gründen. Stattdessen wurde die sogenannte KomIntern im März 1919 in Moskau gegründet. Diese Internationale war de-facto dem Politbüro der Kommunistischen Partei Russlands unterstellt und sollte als Werkzeug zur Entfachung der Weltrevolution dienen.[6]
Während es im Frühjahr 1919 alles andere als klar war, ob die Bolschewiki in ihrem Kampf gegen die Weißen Truppen noch lange bestehen würden, schöpfte Lenin angesichts der Entwicklungen in Mittel- und Ostmitteleuropa neue Hoffnungen auf eine erfolgreiche Expansion der Oktoberrevolution. Denn am 21. März 1919 wurde in Budapest die bürgerlich-sozialdemokratische Koalition durch eine sozialistisch-kommunistische Räteregierung abgelöst. Unbestrittener Führer dieser Ungarischen Räterepublik war der Journalist Bela Kun, der als Kriegsgefangener in Russland zum Bolschewik und Vertrauten Lenins geworden war[7] und nur eine Woche nach seiner Rückkehr aus Moskau Ende November 1918 die Kommunistische Partei Ungarns gegründet hatte.
Nur vier Tage nach Ausrufung der ungarischen Räterepublik erklärte der britische Premierminister David Lloyd George, die „größte Gefahr“, die er momentan sehe, sei, „daß Deutschland mit dem Bolschewismus gemeinsame Sache macht und sein Wirtschaftspotential, seine Intelligenz, sein gewaltiges Organisationstalent den revolutionären Fanatikern zur Verfügung stellt, deren Traum es ist, die Welt mit Waffengewalt für den Bolschewismus zu erobern“. „Diese Gefahr“, so Lloyd George weiter, sei „nicht ein bloßes Hirngespinst“, sondern angesichts der Schwäche der deutschen Regierung und ihres mangelnden Prestiges durchaus real. Der britische Premierminister folgerte daraus, dass es „weise“ wäre, Deutschland einen gerechten Frieden anzubieten.[8]
Lloyd Georges Befürchtungen waren keineswegs unbegründet. Nur knapp drei Wochen nach Ausrufung der ungarischen Räterepublik wurde auch in Bayern eine Räterepublik proklamiert und „alle deutschen Völker“ dazu aufgerufen, dem „Beispiel zu folgen“[9]. Die Hoffnung der Bolschewiki auf eine Ausbreitung der Oktoberrevolution schien nun in Erfüllung zu gehen. Von Beginn an standen die drei Räterepubliken im Kontakt und tauschten Funksprüche aus. Während aber in Ungarn tatsächlich die Kommunisten unter Bela Kun eine führende Rolle spielten, hatten sich die Kommunisten in Bayern der neuen Räte-Macht zunächst verweigert. Trotzdem beeilte sich die russische Sowjetregierung, „der neuen Schwesterrepublik“, die „als Vorposten auf der vorgeschobensten Stellung“ stehe, ihre „herzlichsten Grüße“ zu übermitteln.[10]
Die Führer der bayerischen Kommunisten um Evgenij Leviné, Max Levien und Tovia Akselrod, die alle nicht nur im Zarenreich geboren waren, sondern entweder an der Russischen Revolution von 1905 oder an der Oktoberrevolution teilgenommen hatten und im Falle Aksel‘rods sogar dem diplomatischen Dienst Sowjetrusslands angehörten, riefen jedoch dazu auf, die von ihnen geschmähte Scheinräterepublik zu stürzen und eine echte Räterepublik nach russischem Vorbild zu errichten. So erklärt Leviné:
„Wir werden es wie in Rußland halten […], wir werden den Klassenkampf aufs Dorf tragen, wir werden durch Strafexpeditionen die Bauern zwingen, Korn und Milch zu liefern.“[11]
Hierauf antwortete Ernst Toller, Führer der sogenannten Scheinräterepublik und später einer der bekanntesten Schriftsteller der Weimarer Republik Folgendes:
„Diese Strafexpeditionen erzielten nicht einmal in Rußland Erfolge, in Bayern würde solches Beginnen zu völligem Fiasko führen. In Bayern könnt Ihr Euch nicht auf die Dorfarmut stützen, selbst die niederbayerischen Gütler sind keine russischen Muschiks, der bayerische ist nicht der russische Bauer, er ist bewaffnet, er wird sich wehren, wollt Ihr auf die Dörfer ziehen und um jeden Liter Milch eine Schlacht liefern?“[12]
Toller, ein herausragender Beobachter und Chronist seiner Zeit, der auch mit der Zweiten, kommunistischen Räterepublik verbunden blieb, sah nicht nur den Einfluss der aus Russland stammenden Kommunisten äußerst kritisch, sondern auch den Umstand, dass langjährige Sozialisten von diesen enorm geblendet wurden:
„Entscheidenden Einfluß gewinnen einige Russen, einzig darum, weil ihr Paß sie als Sowjetbürger ausweist. Das große Werk der russischen Revolution verleiht jedem dieser Männer magischen Glanz, erfahrene deutsche Kommunisten starren wie geblendet auf sie. Weil Lenin Russe ist, trauen sie ihnen dessen Fähigkeiten zu.“[13]
Erich Karl Maenner, ebenso wie Toller von der USPD, der auch an der Zweiten Räterepublik beteiligt war, schleuderte schließlich Tovia Akselrod entgegen: „Wir machen eine bayerische und nicht eine russische Revolution.“[14] Zudem erklärte er, dass „“[ü]berall, wo fremdländische Elemente an der Spitze einer Revolution stehen, […] eine Diktatur geschaffen“ werde.
Und der Augenzeuge der Räterepublik Viktor Klemperer, der die Ereignisse in München mit Reportagen begleitete, brachte wohl das auf den Punkt, was viele dachten, wenn er im April 1919 schrieb:
„Die Passivität ist die einzige echtbayerische Zutat zu dieser Revolution, die von Nichtbayern gespielt wird und fremde Namen und fremde Institutionen kindisch nachahmt.“[15]
Was hier mit einigen Zitaten angedeutet wurde, ist von zentraler Bedeutung: Die bayerische Räterepublik bzw. Räterepubliken wurden nicht nur von ihren zahlreichen Gegnern mit dem Stempel der „Landfremdheit“ belegt, indem die Hauptprotagonisten in abträglicher Weise als „Russen“, als „Juden“, als „Preußen“, als „Nicht-Christen“, als „fremdländische Volksverderber“ diskreditiert wurden, sondern zum Teil auch von den eigenen Mitstreitern. Und auch hier ist die Verbindung zu Russland unverkennbar. Denn bis heute wird in einflussreichen konservativ-religiösen Kreisen die russische Oktoberrevolution und die Herrschaft der Bolschewiki als etwas „Fremdes“ bzw. als etwas „Jüdisches“ wahrgenommen, das von außen dem „Heiligen Russland“ aufgezwungen wurde. Dieses antisemitisch motivierte Ideologem vom jüdischen Bolschewismus spielte nicht nur bei russischen Rechten und Monarchisten eine enorme Rolle, sondern sollte auch als Reaktion auf die Räterepublik in Bayern eine enorme Wirkkraft entfalten.
Die Bayerische Räterepublik ist in erster Linie an der militärischen Übermacht ihrer Gegner gescheitert. Dennoch ist zu betonen, dass auch die Konflikte zwischen den einzelnen Vertretern der Räterepublik enorme Sprengkraft besaßen. Vor allem in der zweiten Phase kam es zu heftigen Kontroversen, inwieweit das Räte-Modell und die Methoden der russischen Bolschewiki übernommen werden sollten. Letztlich ging es bereits in diesem Konflikt um die Frage des Führungsanspruchs der Bolschewiki im revolutionär-sozialistischen Lager.
Am 1. Mai 1919 verkündete Lenin in einer Ansprache auf dem Roten Platz in Moskau mit großer Zuversicht:
„Während dieses Jahres hat sich die politische Situation beträchtlich zugunsten der Sowjetmacht verändert. […] Die befreite Arbeiterklasse feiert siegreich, frei und offen ihren Tag nicht nur in Sowjetrußland, sondern auch in Räteungarn und Rätebayern. […] Wenn der englisch-französische Imperialismus das Kampffeld in der Ukraine räumen mußte, wo unbedeutende Abteilungen von Aufständischen operierten, so wird er den Kräften eines vereinigten Sowjetrußlands, Ungarns und Bayerns schon gar nicht standzuhalten vermögen.“[16]
Zur selben Zeit, als Lenin diese Worte sprach, schloss sich der Belagerungsring der Weißen Truppen um München. Am darauffolgenden Tag marschierten Einheiten von Reichswehr und Freikorps in München ein und schlugen das sowjetische Experiment auf bayerischem Boden mit äußerster Brutalität nieder.
Ende Juli/Anfang August 1919 brach auch die Ungarische Sowjetrepublik zusammen, nicht zuletzt aufgrund der militärischen Intervention französischer und mit ihnen verbündeter Truppen.
Auch wenn Lenin und die Bolschewiki im Sommer 1919 damit gescheitert waren, ihre „sozialistische Revolution“ erfolgreich nach Westen zu exportieren, so gaben sie dieses Vorhaben keineswegs auf. Gerade in den ersten Jahren der Weimarer Republik versuchten die Bolschewiki die Krisensituation der jungen Demokratie dazu auszunutzen, mit Hilfe der KomIntern die Kommunistische Partei in Deutschland an die Macht zu bringen. In dieser Beziehung sei an die sogenannte März-Aktion von 1921 und den Deutschen Oktober von 1923 erinnert.
Aber erst seinem Nachfolger Josef Stalin war es beschieden, im Zuge des Zweiten Weltkriegs das sowjetische Modell in weiten Teilen des östlichen Europas zu installieren. Bayerische und ungarische Räte-Revolutionäre wie Max Levien, Tovia Akselrod oder Bela Kun sollten dies jedoch nicht mehr erleben. Sie waren schon einige Jahre zuvor Opfer der Stalin‘schen Säuberungen geworden.
Nahezu gleichzeitig mit der Etablierung kommunistischer Regime in Ostmittel- und Südosteuropa durch die Sowjetunion nach 1945, breitete sich der Kommunismus als Herrschaftsform ebenfalls in Teilen Ost- und Südostasiens aus. Auch wenn es zwischen der Volksrepublik China und der Sowjetunion schon bald zu einem Zerwürfnis kam, so bleibt dennoch festzuhalten, dass der Kommunismus nach 1945 zu einer globalen Macht geworden war, der nicht nur die Geschichte des kurzen 20. Jahrhunderts entscheidend prägte, sondern auch unsere unmittelbare Gegenwart stark beeinflusst.
[1] Zitiert nach Geschichte der ungarischen revolutionären Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1962, Berlin 1983, S. 107f.
[2] Orlando Figes: Hundert Jahre Revolution, 2015, S. 119.
[3] Vgl. Orlando Figes: Die Tragödie eines Volkes, 2008, S. 872; Figes: Hundert Jahre Revolution, S. 119.
[4] Vgl. Silvio Pons: The Global Revolution. A History of International Communism 1917‑1991, Oxford 2014, S. 5.
[5] Hermann Weber (Hg.): Der Gründungsparteitag der KPD. Protokoll und Materialien, Frankfurt/Main 1969, S. 216f.
[6] Vgl. Pons: The Global Revolution, S. 12f.
[7] Lenin: Werke, Berlin 1961, Bd. 29, S. 230.
[8] David Lloyd George aus dem sogenannten Fontainebleau-Memorandum vom 25. März 1919, in: K. Dederke (Hg.): Deutschland zwischen West und Ost 1919‑1932, Stuttgart 1971, S. 4.
[9] „Aufruf. An alle Proletarier, insbesondere an die russische und an die ungarische Räterepublik!, in: Neue Zeitung, Nr. 92, 10.4.1919, S. 1.
[10] „Die Sowjetregierung an das revolutionäre Proletariat Bayerns., in: Neue Zeitung, Nr. 93, 11.4.1919, S. 1.
[11] Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, Stuttgart 2011, S. 131.
[12] Vgl. zu Vorangegangenem Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, Stuttgart 2011, S. 131f.
[13] Ernst Toller: Eine Jugend in Deutschland, Stuttgart 2011, S. 153f.
[14] Alexander Vatlin: Weltrevolutionär im Abseits. Der Kommissar der bayerischen Räterepublik Tobias Axelrod. Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 62/4 (2014), S. 527.
[15] Klemperer: Revolutionstagebuch, Eintrag vom 17. April 1919, S. 117.
[16] Lenin: Werke, Berlin 1961, Bd. 29, S. 317f.
Dr. Tobias Grill